Populismus

P. erscheint in unterschiedlichen Varianten: Rechts- und Links-P., P. der Mitte und neo-liberaler P. Er kann sich ökonomisch, sozio-kulturell und politisch-institutionell artikulieren, „an ideology (or ideologies) or a movement (or movements)“ (Ionescu/Gellner 1969: 3), „Form oder Inhalt“ (Puhle 2011) sein. Deswegen sind allgemeine Konzepte des P. innerhalb der Forschung umstritten. Frank Decker definiert P. als Parteifamilie, Ernesto Laclau als diskursive Logik, Margaret Canovan und Cas Mudde als Ideologie, während Bejanmin Moffit ihn als politischen Stil beschreibt.

Auch historisch unterscheiden sich die Perspektiven. Für die meisten Geschichtswissenschaftler erscheint P. bereits im 19. Jh., etwa in den russischen Narodniki oder der US-amerikanischen People’s bzw. Populist Party. Doch manche sehen hier nur „proto-populisms“ (Finchelstein 2014: 469) und nicht P. per se. Unumstritten ist aber, dass P. das Prinzip der Volkssouveränität verteidigt. Er propagiert, dass die Macht dem Volk gehöre und zum Volk zurück gebracht werden müsse, und baut eine Dichotomie zwischen Volk und Elite auf: Während ersteres als moralisch integer dargestellt wird, erscheint letztere als korrupt. P. setzt außerdem den Willen der Mehrheit mit dem Allgemeinen Willen gleich. Populistische Führungsfiguren stellen sich als „Stimme des Volkes“ dar und versprechen den Volkswillen zum Ausdruck zu bringen.

1. Mehrdimensionalität des Populismus

P. kann am besten als mehrdimensionales Phänomen beschrieben werden, das drei Hauptdimensionen der Politik erfasst: Ideologie, Kommunikation und Organisation. Allerdings muss P. diese drei Dimensionen „nicht zwangsläufig synchron oder kohärent“ (Diehl 2011a: 276) erfassen. Ein politischer Akteur kann populistische Kommunikation pflegen, ideologisch und organisatorisch aber weniger populistisch sein und umgekehrt. Ferner scheint P. auch in unterschiedlichen Intensitäten aufzutreten und stellt sich deswegen auch als graduelle Frage.

1.1 Ideologie

P. bildet allerdings keine vollständige Ideologie, sondern liefert nur eine rudimentäre Struktur, die meistens mit einer zweiten und gehaltvolleren Ideologie kombiniert wird. Deswegen wird P. als „thin-centered ideology“ (Mudde 2004: 544) beschrieben. Als solche stützt er sich auf drei notwendige Grundkonzepte: das moralisch reine Volk, die korrupte Elite und den Volkswillen, wobei alle drei Konzepte im P. unterbestimmt sind. So wird das Volk erst durch eine zweite Ideologie definiert. Im Links-P. ist das Volk die Summe der armen und vom kapitalistischen System ausgebeuteten Bevölkerung. Für den neo-liberalen, liberalen und P. der Mitte ist das Volk die Gemeinschaft der hart arbeitenden Menschen, die unter ungerechtem Wettbewerb mit Großunternehmern leiden. Im Rechts-P. wird das Volk als homogener Körper verstanden, der kulturell, ethnisch (Ethnizität) und manchmal sogar rassistisch (Rassismus) definiert wird. Zur populistischen Ideologie gehören auch manichäisches Denken, der Aufbau eines Antagonismus zwischen dem Volk und seinem Feind – der Elite –, die Vorstellung, dass das Volk die „schweigende Mehrheit“ ist, und die Konstruktion eines „heartland“ (Taggart 2000: 95) – eines affektiven und imaginären Ortes des idealisierten Volkes.

Zentral für den P. ist die Figur eines charismatischen Führers (Charisma), denn die populistische Ideologie gründet auf dem Narrativ des von Elite und etablierten Politikern betrogenen Volkes, das durch diesen Führer zu seinen Rechten kommen soll. Seine Beziehung zum Führer ist unmittelbar und nur möglich, weil dieser selbst einer aus dem Volk ist bzw. sich dementsprechend präsentiert. Dies liefert die Legitimation für populistische Führer, im Namen des Volkes aufzutreten.

1.2 Kommunikation

P. entwickelt eine ganz bes.e Kommunikationsweise. Dazu gehören die Anrufung des und Berufung auf das Volk sowie die Sprechformeln „Wir“ und „die da oben“, um eine kollektive Einheit zu konstruieren. Dabei nutzt die populistische Rhetorik das Mittel der „Froschperspektivierung“ (Reisigl 2002: 167): das Volk schaut die Eliten von unten an. Populistische Kommunikation appelliert an den „common sense“, entwickelt unterkomplexe Argumente und eine einfache und binäre Logik. Dies drückt sich u. a. in „schlechten Manieren“ (Moffitt 2016: 44) ebenso wie in einem „populist noise“ (Arditi 2005:91) in Form von Beschimpfungen des Gegners, Tabubruch (Tabu) und Skandalen aus. Populistische Kommunikation ist hoch emotional, dramatisch und durch den Führer personalisiert. Um zu markieren, dass die Führungsfigur aus dem Volk kommt, betont populistische Kommunikation Volksnähe durch Rhetorik der Gleichheit und Körperinszenierung der Ähnlichkeit zum Volk.

1.3 Organisation

Organisatorisch ist P. durch eine anti-institutionelle Haltung geprägt. Populistische Bewegungen meiden Intermediation; die entsprechenden Parteien tendieren dazu, ihre internen Strukturen zu schwächen. Politische Institutionalisierung wird in hohem Grad abgelehnt. Bevorzugt wird die direkte Teilnahme der Bürger am politischen Geschehen. P. entwickelt eine starke Mobilisierung und fördert plebiszitäre (Plebiszit), jedoch nicht deliberative Verfahren. Die Idee, dass der Volkswille sich unmittelbar äußern soll, steht gegen alle Formen der Mediation, inklusive durch den Journalismus, da diese den Volkswillen verfälschen könnten. Die Rede von der „Lügenpresse“ gehört zu dieser Haltung.

Idealtypisch für die populistische Organisation ist der direkte Kontakt zwischen Führer und Anhängern, der allerdings zwiespältig ist: Zum einen wird die Gleichheit zwischen beiden betont, zum anderen stehen sich Anhänger und Führer in einer stark hierarchischen Beziehung gegenüber. Problematisch in der populistischen Organisation ist das Fehlen von internen Kontrollmechanismen (Politische Kontrolle). Da interne Institutionalisierung geschwächt und externe Kontrollmechanismen wie etwa die Massenmedien delegitimiert werden, gibt es kaum Strukturen, die das Verhalten des Führers kontrollieren könnten. Dies kann dazu führen, dass das Führungspersonal keine Rechenschaft mehr ablegt.

2. Populismus und Demokratie

Demokratie stützt sich auf zwei Prinzipien: Volkssouveränität und das konstitutionelle Prinzip. Während Volkssouveränität die Politik dynamisiert und an die gesellschaftlichen Veränderungen anpasst, setzt das konstitutionelle Prinzip einen festen Pol. Damit Demokratie als politische Ordnung funktionieren kann, braucht sie eine Balance zwischen beiden Prinzipien. Wird sie zu dynamisch, verliert sie ihre Stabilität. Bleibt sie aber zu starr, ist sie nicht mehr in der Lage, die Veränderungen der Gesellschaft aufzunehmen und büßt ihre Gültigkeit ein. Aus dieser Perspektive steht P. auf der dynamischen Seite der Volkssouveränität: „it advocates the power of the people“ (Mény/Surel 2002:17). Dies erklärt seine Mobilisierungskraft, seinen Appell an die Unmittelbarkeit des Volkswillens und seine anti-institutionelle Haltung.

Doch P. entsteht v. a. aus den Krisen der Demokratie. Dabei sind zwei Krisentypen zu unterscheiden: der erste ist intrinsisch, der zweite konjunkturell. Intrinsisch ist die von Rosanvallon 1988 diagnostizierte strukturelle Distanz zwischen politischem System und Gesellschaft, die moderne Gemeinwesen kennzeichnet. Je nach Konjunktur kann die Distanz zwischen Bürgern einerseits und Repräsentanten und Staat andererseits wachsen, woraus eine Krise der Repräsentation, des Vertrauens und der Institutionen entsteht. Dies kann etwa durch Korruption, Entfremdung zwischen Regierenden und Regierten oder auch durch die Zunahme von sozio-ökonomischen Ungleichheiten befeuert werden. In solchen Situtationen fühlt sich ein Teil der Bevölkerung nicht mehr repräsentiert. Manche Autoren sprechen deswegen vom „populistischen Moment“ (Dubiel 1986: 43) oder „Zeitgeist“ (Mudde 2004). P. kann als Reaktion auf diese Krisen gelesen werden. Populistische Akteure prangern die Eliten wegen ihrer egoistischen Haltung an, beschuldigen die etablierten Parteien, nicht mehr im Interesse des Volkes zu handeln, und fordern mehr Volksmacht und Kontrolle der politischen Repräsentanten.

Die Beziehung des P. zur Demokratie ist ambivalent. Manche Autoren fragen, ob P. eine Gefahr oder ein „nützliches Korrektiv“ (Decker 2006) für die Demokratie sei. Einerseits kann P. Revitalisierungseffekte haben: er mobilisiert und politisiert die Zivilgesellschaft, erinnert an das Grundprinzip der Demokratie – die Volkssouveränität –, gibt denjenigen, die sich nicht repräsentiert fühlen, eine Stimme und fordert mehr Kontrolle der Regierung durch die Regierten. P. kritisiert Machtmissbrauch und fordert politische Veränderung. Daher kann P. auf Missstände der Demokratie hinweisen, etwa auf Disfunktionen des repräsentativen Systems, auf den Vertrauensverlust in die Repräsentanten und Korruption. P. kann dazu beitragen, dass sich Bürger mehr in der Politik engagieren. Andererseits ist der Diskurs des P. unterkomplex, polarisiert und dramatisiert. Dadurch wird die Auseinandersetzung mit komplexen politischen Problemen zugunsten manichäischer Argumentationsstrukturen aufgegeben, Fragen und Problemlösung artikulieren sich als Feindschaften und der Raum für deliberative Prozesse schwindet. Für die demokratische Debatte bedeutet dies v. a. einen Verlust an Pluralität der Meinungen und Möglichkeit des Konsenses. Da der P. zum Tabubruch und Skandal tendiert, generieren populistische Akteure einen Wettbewerb um das Außergewöhnliche mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen.

3. Populismus und Massenmedien

Es gibt eine systemische Kompatibilität zwischen P. und Massenmedien. Schon vor der Massenverbreitung des Fernsehens war das berühmte populistische Paar Juan Domingo Perón und María Eva Duarte de Perón in Argentinien ein Produkt der Massenmedien. Ihre Bilder und Reden zirkulierten insb. im Radio, aber auch im Kino und den Printmedien.

Massenmedien haben Aufmerksamkeitsregeln und Inszenierungslogiken (Medien). Dementsprechend bilden sich Kriterien für die Auswahl von Themen, Bildern und Diskursen und für die massenmediale Produktion. Diese Aufmerksamkeitsregeln werden umso wichtiger, je kommerzieller Massenmedien arbeiten. Denn diese brauchen hohe Zuschauerzahlen, um ihre Werbeeinnahmen permanent zu erhöhen. Zu ihren wichtigsten Aufmerksamkeitsregeln gehören u. a. Komplexitätsreduktion, Zwang zu Aktualität und Außergewöhnlichem, Emotionalisierung und Dramatisierung, archetypische Erzählung, Konfliktproduktion und Personalisierung.

Diese Elemente finden ihre Korrelate im P., und zwar in seinen ideologischen und kommunikativen Dimensionen. Übereinstimmungen zwischen populistischer Ideologie und Massenmedien finden sich im Narrativ des betrogenen Volkes, im Aufbau eines moralisch-überlegenen Volkes gegenüber der korrupten Elite und in der zentralen Bedeutung des Führers. Diese Elemente bedienen die Aufmerksamkeitskriterien der archetypischen Erzählung, Konfliktproduktion und Personalisierung. In der kommunikativen Dimension sind weitere Übereinstimmungen zu finden: diese ist unterkomplex, hoch emotional und dramatisch. Populistische Kommunikation produziert Außergewöhnliches, indem sie zu Skandal und Tabubrüchen tendiert. Ihre manichäische Struktur produziert zwangsläufig Konflikte. Auch hier werden die massenmedialen Aufmerksamkeitskriterien bedient, etwa Komplexitätsreduktion, Zwang zur Aktualität und Außergewöhnlichem, Dramatisierung und Emotionalisierung. Wenn politische Akteure sich populistischer Logik bedienen, haben sie daher höhere Chancen, die Medienaufmerksamkeit zu erwecken.