Ostasien

  1. I. Politische und wirtschaftliche Entwicklung
  2. II. Sonderfall China

I. Politische und wirtschaftliche Entwicklung

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Die Staaten bzw. Territorien (hier kurz: Länder) der Region O. (China, Hongkong, Japan, Macao, Mongolei, Nord- und Südkorea, Taiwan; oft auch als Nord-O. bezeichnet), zeichnen sich durch beachtliche Heterogenität aus. Anders als etwa Südasien oder Südostasien konnten sie sich historisch größere Eigenständigkeit gegenüber dem Westen bewahren, was ihren Ausdruck in stärker von der Region selbst geprägten Entwicklungspfaden und politischen sowie wirtschaftlichen Strukturen findet.

1. Historische Dimension der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung

O. wurde deutlich weniger vom westlichen Kolonialismus geprägt als viele andere Weltregionen. China beschränkte bereits seit dem 16. Jh. den Handel mit dem Westen auf wenige Häfen, Korea schloss sich Mitte des 17. Jh., nach verheerenden Invasionen durch Japan und später durch die Mandschuren, gegenüber der Außenwelt ab, und auch Japan wählte ab den 1630er Jahren den Weg der Abschottung.

Letztlich konnte dieser Weg nicht konsequent beibehalten werden. China war aufgrund innerer politischer Schwäche nicht in der Lage, den sozial schädlichen Opiumhandel zu unterbinden, und als Folge der gegenüber dem Vereinigten Königreich verlorenen Opiumkriege (1839–1842 sowie 1856–1860) musste die Qing-Dynastie wesentliche Zugeständnisse zur Öffnung machen. U. a. ging 1842 Hongkong an die Briten. Macao war schon 1557 an Portugal verpachtet worden. Japan musste sich nach 1853 auf amerikanischen Druck für ungleiche Handelsverträge öffnen. Mit dem Regimewechsel von 1868, der sogenannten Meiji-Restauration, setzte eine energische Modernisierung des Landes ein, um sich als ebenbürtig gegenüber dem Westen zu behaupten. In der Folge wurde Japan selber imperialistisch in der Region aktiv. Als Ergebnis des Ersten Japanisch-Chinesischen Krieges von 1894/95 musste China Taiwan sowie Teile der Mandschurei an Japan abtreten; Korea wurde aus der Suzeränität (Oberhoheit) Chinas entlassen. Zwar verschrieb sich Korea ab 1897 einer eigenen Modernisierungsstrategie (Gwangmu-Reform), doch kam sie zu spät, um neben der neuen Regionalmacht Japan zu bestehen: 1905 wurde Korea zum japanischen Protektorat, 1910 endgültig zur Kolonie.

In der ersten Hälfte des 20. Jh. prägte v. a. die Ausgestaltung des japanischen Kolonialreichs die Region. Japan organisierte eine vertikale Arbeitsteilung mit seinen Kolonien: Das südliche Korea lieferte Agrargüter wie Reis, das nördliche Korea mineralische Rohstoffe. Korea und Taiwan reagierten unterschiedlich auf die Kolonisierung. Taiwan wurde als erste Kolonie Japans überhaupt als positiver Modellfall behandelt. In Korea war der Nationalismus viel stärker ausgeprägt und wurde von Japan mit einer brutalen kulturellen Assimilierungspolitik bekämpft.

Bis heute ist umstritten, inwieweit die Kolonialzeit Taiwan und Südkorea längerfristig genutzt oder eher geschadet hat. Unbestritten ist, dass wirtschaftliche und administrative Strukturen Japans die Entwicklung der Ex-Kolonien maßgeblich geprägt haben.

Japan eroberte im Zuge der Mandschurei-Krise von 1931 diese chinesische Region und errichtete den sogenannten Marionettenstaat Mandschukuo. Zur Erschließung der Rohstoffe wurden umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen, etwa beim Eisenbahnbau, durchgeführt. 1937 unternahm Japan eine Invasion Chinas, womit bis heute virulente Ressentiments vertieft wurden. Der bald auf Süd-O. und die USA ausgreifende Große Pazifische Krieg (als Teil des Zweiten Weltkriegs) endete 1945 mit der totalen Niederlage Japans.

Das Kriegsende führte zu grundlegenden Änderungen. Japan musste seine Kolonien aufgeben und erhielt 1947 unter alliierter Kontrolle eine neue Verfassung. Sie bedeutete eine Abkehr vom autoritären Vorkriegssystem und verhalf Prinzipien der Demokratie, des Individualismus und des Pazifismus zur Geltung. Nach der sogenannten Friedensklausel (Art. 9 der japanischen Verfassung) entsagte das Land der Kriegsführung. Mit dem Vertrag von San Francisco wurde 1951 ein Sicherheitspakt mit den USA begründet, 1960 überarbeitet. Angesichts der Inkriminierung der früheren politischen und wirtschaftlichen Elite erlangte die Ministerialbürokratie in den frühen Nachkriegsjahrzehnten eine herausgehobene Rolle bei der Führung des Landes, welche sie während der vorausgehenden Kriegswirtschaft schon erprobt hatte (sogenanntes 1940er System).

Korea wurde auf Basis der Potsdamer Erklärung von 1945 in die Unabhängigkeit entlassen. Aufgrund ihrer exponierten Lage geriet die koreanische Halbinsel schnell ins Zentrum des sich anbahnenden Kalten Krieges und wurde bereits 1945 zweigeteilt. Der verlustreiche Korea-Krieg (1950–1953) verfestigte diese Trennung. Die Demokratische VR Korea im Norden stellt trotz ihres Namens eine totalitäre Diktatur (Totalitarismus) dar. In ihren frühen Jahren fand sie maßgeblich von der UdSSR und der VR China Unterstützung. Bereits ab den 1950er Jahren wurde jedoch zunehmend ein eigenständiger, auf die eigenen Kräfte setzender Entwicklungsweg propagiert (Juche-Ideologie). Juche ersetzte 1992 den Marxismus-Leninismus (Marxismus) als Leitbild der Verfassung. Die Republik Korea im Süden zeigte in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Gründung (1948) ebenfalls stark autoritäre Züge, forciert durch einen Militärputsch im Jahre 1961. Ab 1987 fanden demokratische Wahlen statt, die ab 1992 wieder zur Berufung von Zivilisten in das Präsidentenamt führten.

Taiwan wurde 1945 an China übergeben. Die Republik China (Taiwan) entstand 1949 nach einem Bürgerkrieg auf dem Festland und dem Sieg der KPCh (Kommunistische Parteien) (Gründung der VR ebenfalls 1949), nachdem sich die nationalchinesische Vorgängerregierung auf die vorgelagerte Insel zurückgezogen hatte. Das Regime unter der Nationalen Volkspartei Chinas (Kuomintang) besaß stark autoritäre Züge und wurde bis zu einer UN-Resolution von 1971 als legitime Vertretung Chinas allgemein anerkannt. Spätestens ab den 1990er Jahren setzte eine starke Demokratisierungsbewegung ein. Heute können Taiwan sowie Japan und Südkorea als vollausgebildete Demokratien westlichen Verständnisses gelten, die schon mehrere durch Wahlen legitimierte Machtwechsel friedlich durchlebt haben.

Hongkong und Macao waren bis 1997 bzw. 1999 britische und portugiesische Kolonien und erhielten im Anschluss für jeweils 50 Jahre den Status einer Sonderverwaltungszone im Rahmen der VR China, der ihnen weitgehende politische, wirtschaftliche und kulturelle Autonomie einräumt. U. a. sind beide Zonen eigenständige Mitglieder der WTO. Um die Einhaltung der politischen Zusagen findet, insb. in Hongkong, ein zähes Ringen statt.

Der mongolische Raum, der oftmals zu O. gezählt wird, hatte lange unter dem Einfluss des russischen Zarenreichs gestanden, wurde im Zuge der Oktoberrevolution aber von Nationalchina übernommen. 1945 sagte sich die Äußere Mongolei von China los. In der Folge entwickelte sich die Mongolei als autoritär geführte VR, vollzog jedoch im Zuge der Auflösung der UdSSR einen Transformationsprozess (Systemtransformation) in Richtung Rechtsstaatlichkeit (Rechtsstaat) und Demokratie, der 1992 in der Verfassung kodifiziert wurde. In vielerlei Hinsicht unterscheidet sich die Mongolei deutlich vom Rest O.s, worauf im Folgenden nicht immer eingegangen werden kann.

2. Bevölkerungs- und Sozialstruktur

Die Länder weisen große Unterschiede in der Bevölkerungsgröße auf. China allein stellt mit 1,4 Mrd. Menschen knapp 19 % der Weltbevölkerung (2020). Japan als zweitgrößtes Land umfasst nur knapp ein Zehntel der Bevölkerungszahl Chinas, 126 Mio. Die Mongolei hat gerade einmal 3,3 Mio. Bewohner. Manche Länder wie Nordkorea, Südkorea und Japan sind ethnisch sehr homogen, haben eine vorherrschende Sprache, die kaum andernorts gesprochen wird. In China machen die sogenannten Han-Chinesen etwa 92 % der Bevölkerung aus, bei 56 anderen Ethnien. Neben dem Standard-Chinesisch (Mandarin) gibt es zahlreiche Dialekte, die sich z. T. deutlich unterscheiden; in Hongkong und Macao herrscht z. B. kantonesisches Chinesisch vor.

Vielfältig sind auch die religiösen Bekenntnisse, wobei sich viele Einwohner aber auch keiner Religion zugehörig fühlen. Eine große Rolle spielt der Buddhismus, v. a. in Form des sogenannten Großen Weges (Mahayana). In der VR China werden 18 % der Bevölkerung dem Buddhismus zugerechnet. Daneben gibt es indigene Formen von Religiosität wie den Shintoismus in Japan oder den Schamanismus in Korea. Auch das Christentum spielt in manchen Ländern eine nicht zu vernachlässigende Rolle: In Südkorea bekennen sich mit knapp 28 % der Bevölkerung mehr Menschen zur protestantischen oder katholischen Kirche als zum Buddhismus.

Der ostasiatische Kulturkreis ist neben dem Buddhismus insb. von dem ursprünglich aus China stammenden Konfuzianismus geprägt. Verhaltensrelevant ist dabei v. a. die Vorstellung, dass soziale Harmonie dadurch entstehe, dass jeder Einzelne seinen adäquaten Platz in der sozialen Ordnung einnimmt, wobei diese insb. durch die angemessenen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, zwischen Herrscher und Untertan, zwischen Eheleuten, zwischen älteren und jüngeren Geschwistern sowie unter Freunden geprägt ist. Daraus lassen sich verschiedene, in den Ländern jeweils etwas unterschiedlich ausgeprägte Merkmale von sozialer und politischer, bis hin zur wirtschaftlichen Ordnung ableiten. So spielt die gegenseitige Unterstützung in der Großfamilie eine bes. Rolle. Daneben finden sich starke informelle Beziehungsnetzwerke, die jenseits formaler Regelungen wirksam werden (für China die sogenannten guanxi, für Korea etwa yongo). Solche Bindungen begünstigen z. B. die Entstehung großer Unternehmenskonglomerate in Japan oder Korea, gleichzeitig ermöglichen sie aber auch vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen in auslandschinesischen Netzwerken. Eine weitere Konsequenz ist eine gewisse Obrigkeitsorientierung, die allerdings die Ausbildung von Gegenkräften nicht ausschließt. Im sogenannten Neo-Konfuzianismus wird die Selbstverbesserung betont, was zu einer ausgeprägten Bildungsorientierung der Bevölkerungen geführt hat.

Die Konsequenzen dieser Prägungen sind uneinheitlich. So hat der Hang zu schulischer Bildung die nachholende Industrialisierung gefördert. Die starken informellen Bande können aber auch zu kollusiver Cliquenbildung führen, welche Korruption und Entwicklungsdefizite begünstigt. Die Fokussierung der Rolle der (Ehe-)Frau auf den Haushalt hat in den Ländern der Region zu anhaltend großen Defiziten bei geschlechtlicher Gleichstellung geführt.

Aufgrund der raschen wirtschaftlichen Entwicklung ist die Region einem markanten gesellschaftlichen Wandel unterworfen. Der Zusammenhalt in der Großfamilie hat deutlich abgenommen, so dass die Sozialsysteme, die sich bisher stark auf die Unterstützung in der Familie verlassen haben, erheblichen Belastungen ausgesetzt sind. Ein wesentlicher Treiber ist die starke Verstädterung. In Japan beträgt der Urbanisierungsgrad 92 % (2018), so dass in manchen Provinzregionen eine wahrnehmbare Entvölkerung eingesetzt hat. Für China beträgt der Urbanisierungsgrad zwar erst 60 %, doch finden sich hier wie im Rest O.s einige der größten urbanen Ballungszentren der Welt: die Großräume um Tokyo, Seoul, Shanghai, Beijing und Guangzhou umfassen jeweils über 20 Mio. Einwohner. Damit entstehen u. a. Vereinsamungsprobleme; in Seoul beträgt der Anteil der Einpersonenhaushalte z. B. inzwischen 40 % (2019). Gleichzeitig führt dies zu Individualisierungsprozessen, wie sie bisher für O. wenig geläufig waren. Angesichts der kulturhistorisch angelegten Neigung zur Gruppenbildung prägen sich damit markante soziale Milieus, etwa jugendliche Subkulturen, aus. Dank der hohen digitalen Durchdringung der fortschrittsgläubigen Bevölkerungen und der Dynamik entsprechender kommerzieller Angebote ist die Region ein weltweiter Vorreiter bei der Einführung und Verbreitung neuer Technologien.

Eine bes. Herausforderung stellt die rasche Alterung der meisten ostasiatischen Gesellschaften dar. Japan ist dabei Vorreiter: Waren 2010 bereits 30 % der Bevölkerung (nach UN-Zahlen) 60 Jahre oder älter, werden für 2050 43 % erwartet. Bereits jetzt schrumpft die Bevölkerung. In Südkorea setzte der Prozess später ein, dafür wird die Steigerung dramatischer ausfallen, nämlich von 16 % auf 39 %. Im bes. bevölkerungsreichen China ist im Zuge der bis 2015 gültigen Ein-Kind-Politik die Fertilitätsrate auf 1,5 gesunken und hat sich seither kaum verändert. Die Alterung der Bevölkerung stellt die Länder gleich vor mehrere Probleme: hohe Ausgabensteigerungen für Renten und Gesundheit, massive fiskalische Belastungen, die Herausforderung schrumpfender Arbeitsmärkte sowie geringere Wachstumschancen auf dem Binnenmarkt, was etwa in Japan seit den 1990er Jahren bereits deutlich sichtbar geworden ist.

3. Neuere politische Entwicklungen und Strukturen

Die Region weist unterschiedliche politische Systeme und Entwicklungspfade auf.

Japan zeichnete von den 1950er bis in die frühen 1990er Jahre ein starkes Interessengeflecht zwischen der Politik, insb. der langfristig bei Wahlen erfolgreichen Liberaldemokratischen Partei, der Ministerialbürokratie und den Großkonzernen des Landes aus (sogenanntes Eisernes Dreieck), was eine forcierte Orientierung am wirtschaftlichen Wachstum ermöglichte. In Südkorea erlaubt es das stark hierarchisch strukturierte Präsidialsystem, kraftvolle Politikvorgaben umzusetzen. In China wiederum schafft der Primat der KPCh das Potenzial, sich auf übergeordnete Zielvorstellungen zu fokussieren. Das politische System Nordkoreas ist v. a. auf das Gedeihen und Überleben der herrschenden Cliquen ausgerichtet.

Mit dem Erstarken einer besser gebildeten sozialen Mittelschicht, aber auch mit den erhöhten Anforderungen an die staatliche Steuerungsfähigkeit in einer globalisierten Welt wurde es für viele Regierungen schwieriger, eine konsistente Wachstumsorientierung zu betreiben. In Japan z. B. bildete sich das auch kollusive Züge tragende Eiserne Dreieck mit der Finanzkrise und Wachstumsschwäche ab Anfang der 1990er Jahre zurück, so dass eine längere Phase oft kurzlebiger Regierungen folgte. Selbst in einem autokratischen und neuerdings so erfolgsverwöhnten Land wie China ist es für die Staats- und Parteiführung schwierig, eine überzeugende Strategie angesichts von Belastungen wie Arbeiterprotesten und Überschuldungsproblemen von Firmen sicherzustellen.

Einen wichtigen Beitrag zu den Erfolgen der Region hat die Bildungspolitik geleistet. Die Region erzielt regelmäßig hohe Bewertungen bzgl. ihrer Bildungsleistungen. Nur z. T. ist das der staatlichen Förderung zugute zu halten, denn angesichts der konfuzianischen Traditionen unternimmt die Bevölkerung erhebliche, auch finanziell aufwendige Anstrengungen für den Nachwuchs. An den Schulen und Hochschulen werden traditionell Auswendiglernen und Basisfähigkeiten betont, was dem Modus aufholender Wirtschaftsentwicklung entsprach. Es fällt nicht leicht, den Übergang zu einem Bildungssystem erfolgreich zu gestalten, das auch Individualität und Kreativität Raum gibt.

Eine weitere Gemeinsamkeit fast aller Länder der Region ist der traditionell geringe Stellenwert staatlicher Sozialpolitik. Zum einen ist das anderen Prioritäten im wirtschaftlichen Nachholprozess geschuldet, zum anderen ergibt es sich aus der besonderen Rolle, die in den konfuzianisch geprägten Gesellschaften dem Familienverband bei der sozialen Sicherung zugesprochen wird. In Zeiten eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs wird das zur Belastung der traditionellen Funktionsmechanismen ostasiatischer Staaten.

4. Neuere wirtschaftliche Entwicklungen und Strukturen

Wie bzgl. der Politik weisen auch die Wirtschaftssysteme O.s große Unterschiede auf. Die rohstoffarmen Volkswirtschaften (Japan, später Hongkong, Südkorea und Taiwan) haben auf den außenorientierten Aufbau von verarbeitender Industrie gesetzt, beginnend beim Import, der Produktion für den Binnenmarkt, dem Aufbau von Exportkompetenz und schließlich in einer Reifephase mit dem Übergang in höherwertige Branchen. Von dem wirtschaftlich am weitesten entwickelten Land der Region (Japan) konnten solche Produktzyklen dann phasenverschoben auf andere übergehen, oft durch Direktinvestitionen unterstützt (sogenanntes Wildgänse-Modell von Kaname Akamatsu). Auf Japan folgten die sogenannten Tigerstaaten wie Südkorea und Taiwan, danach weniger entwickelte Länder Süd-O.s sowie China. Während der Ansatz zurückliegende Entwicklungen recht gut erfasst, ist er inzwischen an seine Grenzen gestoßen. Zum einen drängen immer mehr weniger entwickelte Länder „von unten“ nach, während die Spitzenländer ihre Position verteidigen (sogenanntes Sandwich-Problem). Auch machen sich Auswirkungen des rasanten technologischen Wandels stärker bemerkbar: Die Textilindustrie ist bspw. nicht mehr einfach eine technologieschwache Branche, sondern kann sich durch moderne Werkstoffe wie Karbonfasern in Richtung High-Tech wandeln. Service-Industrien unterliegen ohnehin nicht entsprechenden Zyklen. Schließlich hat der Aufstieg Chinas mit seiner außerordentlich großen Produktionskapazität den Mechanismus beeinträchtigt.

Offenbar sind Volkswirtschaften ohnehin nicht nur durch ihre industriellen Muster geprägt, sondern auch durch institutionelle Gegebenheiten, d. h. wie die Koordinierung wirtschaftlicher Aktivitäten organisiert ist und abläuft. Die früher relevante Aufteilung der Länder der Region in Zentralverwaltungswirtschaften (China, Mongolei, Nordkorea) und Marktwirtschaften (Japan, Hongkong, Südkorea, Taiwan) trägt spätestens seit den weltweiten Transformationsprozessen ab den späten 1980er Jahren nicht mehr weit, höchstens in historischer Perspektive.

Es ist oft versucht worden, Gemeinsamkeiten der ostasiatischen Erfolgsökonomien jenseits dieser überholten Dualität zu identifizieren. Ein erster prominenter Ansatz setzt an der internationalen wirtschaftlichen Einbindung an. Länder wie Japan, Südkorea und Taiwan, aber auch Hongkong, haben sich danach frühzeitig mit marktkonformen Preisen dem Export zugewandt und die Möglichkeiten der internationalen Arbeitsteilung optimal für sich genutzt. Diese Außenorientierung wurde von Institutionen wie der Weltbank auch anderen Ländern empfohlen, wobei O. als prominenter Referenzfall diente. Inzwischen ist anerkannt, dass die meisten Regierungen der entsprechenden Länder stark auf die wirtschaftlichen Abläufe eingewirkt haben. Für das Südkorea der 1960er Jahre war die starke Hand der Regierung, welche Exporterfolge belohnte, Fehlleistungen aber auch sanktionierte, ebenso prägend wie die Außen- bzw. Exportorientierung. Selbst das bes. wirtschaftsliberale Hongkong förderte massiv den öffentlichen Ausbau von Infrastruktur als notwendige Voraussetzung einer außenorientierten Strategie.

Eine verwandte Argumentationslinie geht davon aus, dass letztlich die aktiv betriebene Industriepolitik der Regierungen entscheidend für die Entwicklungserfolge gewesen sei. Nicht zuletzt Japan und Südkorea waren und sind z. T. immer noch deutlich industriepolitisch geprägt. Ob dies tatsächlich ein zentraler Erfolgsfaktor war, ist umstrittener. Zwar lassen sich viele Fälle identifizieren, in denen eine selektive Industrieförderung wichtig war, für Japan etwa in der Computerindustrie der 1970er Jahre. Gleichzeitig hat Industriepolitik aber auch öfters versagt, oder Erfolge sind ohne staatliche Förderung eingetreten, z. B. in der japanischen Kameraindustrie. Inzwischen werden neue industriepolitische Initiativen zumeist in den Kontext der großen erwarteten sozioökonomischen Umwälzungen des 21. Jh. wie der Digitalisierung und der Verbreitung künstlicher Intelligenz eingeordnet, in China etwa unter dem Schlagwort Made in China 2025, in Japan als Society 5.0 oder in Südkorea von 2013 bis 2017 als Creative Economy.

Ein weiterer Argumentationsstrang versucht, politisch-ökonomische Systeme in ihrer Gesamtheit zu charakterisieren. Peter Andrew Hall und David Soskice ordnen z. B. in ihrem Ansatz der „Varieties of Capitalism“ (2001) Japan dem Typus der koordinierten Marktwirtschaften zu, in denen neben dem Markt viele andere Koordinationsmechanismen greifen, etwa über den Staat oder komplexe Firmennetzwerke. Auch für manch andere Länder der Region mag das ansatzweise überzeugen, die VR China kann aber sicher nicht diesem Typus zugeordnet werden. In Japan wie in Südkorea prägen große Unternehmensgruppen die Wirtschaft (keiretsu bzw. chaebol). Taiwan wird dagegen von deutlich kleineren, oft mittelständischen Firmen geprägt. Insgesamt erscheinen Ansätze wie der von P. A. Hall und D. Soskice zu statisch und werden der Dynamik der Region nicht gerecht. Deren Entwicklung wird oft von „institutional complementarity“ (Aoki 2001) geprägt, insb. zwischen der Ausprägung von spezifischen Formen der Unternehmenslenkung, der Organisation der Finanzen und dem Personalsystem. Bis in die 1990er Jahre sorgten diese Komplementaritäten für ein starkes Beharrungsvermögen der jeweiligen Wirtschaftssysteme. Um 2000 wurde dagegen angesichts des Globalisierungsdrucks (Globalisierung) die These von der weltweiten Konvergenz der Systeme in Richtung eines anglo-amerikanischen Modells populär. Auch dies hat sich aber bisher für O. nicht bestätigt. Angesichts des Aufbrechens alter Komplementaritäten und der Tatsache, dass die Länder nicht mehr einfach auf nachholende Entwicklung setzen können, sondern versuchen müssen, effektivere Innovationssysteme aufzubauen, gehen überall in der Region die hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten der Jahre des ostasiatischen „Wirtschaftswunders“ zurück.

Ein Aspekt des Aufbrechens alter Komplementaritäten vor dem Hintergrund des Globalisierungsdrucks besteht auch darin, dass die Länder der Region heute nicht mehr als Muster einer ausgewogenen Einkommensverteilung gelten können. So rangieren Japan und Südkorea inzwischen in der unteren Hälfte der OECD-Länder.

5. Internationale Beziehungen

Dank des starken Wirtschaftswachstums der Region ist ihr Anteil am Weltprodukt markant gestiegen, auf Kaufkraftbasis (nach IWF-Zahlen, ohne Nordkorea) von 12 % im Jahre 1980 über 17 % für 2000 auf 26 % 2018. V. a. die VR China ist für diesen Anstieg verantwortlich, deren Anteil an der Weltleistung von gut 2 % über 7 % auf mittlerweile 18 % anwuchs. Inwieweit diese Dynamik anhält, ist in einer emergenten Welt naturgemäß offen. Politische Faktoren (Protektionismus, Handelskonflikte, Diskurs um die Sinnhaftigkeit einer selektiven Deglobalisierung) wie materielle Faktoren (Alterung der Bevölkerung, ökologische Grenzen) könnten die bisherige Dynamik zumindest abbremsen.

Aufgrund der Außenorientierung der meisten Länder O.s ist der Anteil am Welthandel stark angewachsen, von 16 % (1990) auf 24 % (2017; IWF-Daten ohne Nordkorea). Ein wichtiges Element ist dabei die Zunahme des intraregionalen Handels, von 29 % des regionalen Handels auf 36 %. Z. T. entspricht diese Zunahme einem natürlichen Nachholprozess, denn in der frühen Nachkriegszeit waren die Beziehungen der marktlich orientierten Länder der Region einseitig auf den Westen gerichtet, während die sozialistischen Länder, darunter China, ihre jeweils eigenen Wege verfolgten. Die Entwicklung wird aber auch stark von der Bedeutungszunahme internationaler Wertschöpfungsketten geprägt, gerade in den arbeitsteiligen Montageindustrien wie der Produktion von Autos und Elektrogeräten. Die Ausprägung solcher regionalen Produktionsnetzwerke, die neben O. im engeren Sinne Süd-O. einbeziehen, ging zunächst v. a. von den Direktinvestitionen und Joint Ventures japanischer Konzerne aus, spätestens seit den 1990er Jahren sind aber auch die Unternehmen anderer Länder O.s und Süd-O.s zunehmend aktiv.

Im Vergleich zu der beachtlichen marktlichen Regionalintegration (Regionalisierung), die allerdings niedriger ist als im europäischen Integrationsraum, bleibt die institutionelle Integration (Regionalismus) bisher auffallend wenig ausgeprägt (Regionalisierung, Regionalismus).

Gründe sind zunächst einmal bestehende Territorialkonflikte zwischen Ländern der Region, so zwischen Südkorea und Japan (Dokdo- bzw. Takeshima-Inseln), zwischen China und Japan (Diaoyu- bzw. Senkaku-Inseln) sowie, potenziell bes. brisant, zwischen der VR China und Taiwan um die Stellung dieses faktisch unabhängigen Staates. Dahinter stehen aus der Historie der Region begründete politische Konflikte zwischen den Ländern, so etwa immer wieder aufflammende Auseinandersetzungen um die Frage, ob Japan mit seiner Kriegsschuld insb. gegenüber China und Korea angemessen umgeht. Nicht selten werden solche Fragen der Vergangenheitsbewältigung aus innenpolitischen Gründen eingesetzt und damit neu belebt.

Von daher ist die institutionalisierte politische Kooperation gerade zwischen den großen Ländern der Region schwach. Immerhin gibt es seit 2011 ein sogenanntes Trilateral Cooperation Secretariat zwischen China, Japan und Südkorea mit Sitz in Seoul, das aber bisher nur wenige Aufgaben übernehmen konnte.

Ein besonderes Problem stellt der Umgang mit Nordkorea dar, das einen eigenständigen Entwicklungsweg gewählt hat und dessen Machthaber als absolute Priorität die Stabilisierung ihrer eigenen Position verfolgen. Das Regime verfügt mittlerweile über nukleare Sprengsätze und stellt damit eine permanente Bedrohung für die Sicherheit in der Region dar. Bisher ist es der internationalen Staatengemeinschaft nicht gelungen, einen Weg zu finden, das Land in einen multilateral kompatiblen Entwicklungsweg einzubinden und die Nonproliferation von Kernwaffen (ABC-Waffen) sicherzustellen. China nimmt eine bes. Position ein, da es Nordkorea im Koreakrieg entscheidend unterstützt hat und auch seither ein Interesse daran besitzt, einen Puffer zum westlichen Einflussbereich zu erhalten.

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist die institutionelle Integration O.s bisher wenig ausgebildet. So gibt es zwischen den großen Ländern erst ein einziges Freihandelsabkommen (Freihandel), nämlich zwischen China und Südkorea seit 2015. Die Ambitionen haben sich wegen der persistenten bilateralen Problemlagen eher auf großräumigere Ansätze verlagert. China forciert den Abschluss einer Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), welche große Teile O.s und Süd-O.s einschließlich Japans und Südkoreas sowie Ozeaniens umfassen soll, hinsichtlich der geplanten Handelserleichterungen aber wenig ambitioniert ist. Japan dagegen wurde, nachdem die USA sich zurückgezogen hatten, treibende Kraft bei dem anspruchsvolleren Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP), dem seit 2018 u. a. einige Länder Süd-O.s angehören, nicht aber China und Südkorea.

Über den Handel hinaus arbeiten alle Länder der Region (außer Nordkorea) in der weit über O. ausgreifenden Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) zusammen, die sich neben Liberalisierungsfragen Formen der wirtschaftlichen Kooperation widmet. Zudem hat sich zwischen China, Japan und Südkorea einerseits sowie den ASEAN-Staaten (Vereinigung Südostasiatischer Nationen) andererseits ein sogenannter ASEAN+3-Prozess etabliert, der v. a. für wirtschaftliche Themen relevant ist und bspw. ab 2000 zur Einrichtung eines Finanzstabilitätsmechanismus für die Großregion, der sogenannten Chiang Mai Initiative Multilateralization (CMIM), geführt hat.

Neuere Initiativen aus O. werden insb. dadurch geprägt, dass die Stimme der Region in multilateralen Institutionen wie IWF und Weltbank immer noch nicht ihrer gewachsenen Bedeutung in der Welt entspricht. Zudem entwickelt China eigene Ambitionen, sein Gewicht stärker in die multilateralen Zusammenhänge einzubringen, während Japan seine bes. Rolle in der Region O. und Süd-O. behaupten will. Von daher hat China Initiativen wie die 2015 erfolgte Gründung einer Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) betrieben, v. a. aber auch seit 2013 die ehrgeizige Vision einer Neuen Seidenstraße, der Belt and Road Initiative (BRI), vorangetrieben. Japan verfolgt eigene Ansätze, z. B. seit 2016 eine Viererallianz mit Australien, Indien und den USA, die sogenannte Free and Open Indo-Pacific Initiative (FOIP), die in Sicherheitsfragen aber auch wie die BRI in der Infrastrukturförderung relevant werden soll und dabei wie Chinas Vorhaben weit über die Region O. im engeren Sinne hinausgreift.

Der EU wie auch Deutschland fällt es schwer, eine konsistente (Ost-)Asienpolitik zu entwickeln. Das liegt insb. an dem nicht leicht zu überbrückenden Spannungsverhältnis zwischen ethischen und moralischen Haltungen einerseits, etwa der Betonung von Menschenrechten und Nachhaltigkeitsaspekten (Nachhaltigkeit), sowie konkreten politischen wie wirtschaftlichen Interessen andererseits, zumal diese Abwägung in verschiedenen europäischen Ländern unterschiedlich ausfällt. Gleichzeitig sind die faktischen Instrumente der Außenpolitik beschränkt, was etwa wirksamen Beiträgen zur Bewältigung des Nordkorea-Problems entgegensteht. Immerhin nimmt O. für Europa einen immer höheren Stellenwert ein. Das ASEM dient seit 1996 dem inter-regionalen Dialog, wird aber häufig aufgrund seiner beschränkten Möglichkeiten kritisiert. Das erste vertiefte Freihandelsabkommen der EU, das auch Themen weit jenseits einer Handelsliberalisierung aufnimmt, trat ab 2011 (endgültig 2015) mit Südkorea in Kraft. 2019 veröffentlichte die EU eine Strategie zur Konnektivität zwischen Asien und Europa und reagiert damit aktiv auf Chinas Seidenstraßeninitiative.

Umgekehrt ist der Stellenwert Europas für die Länder O.s rückläufig. Deren Fokus ist zunehmend auf die USA, die Großregion des östlichen und südlichen Asiens selbst und dabei nicht zuletzt auf China gerichtet.

II. Sonderfall China

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1. Der Chinesische Traum im Kontext Chinesischer Führungsdeterminanten

Chinas Aufstieg zur Wirtschaftssupermacht ist das Ergebnis beispielloser Modernisierungsprogramme von einer zentralen maoistischen Planwirtschaft (Zentralverwaltungswirtschaft) zu einer Handelsmacht, die scheinbar mühelos die Asiatische Wirtschaftskrise überwand, 2001 in die WTO aufgenommen wurde, mit den Olympischen Spielen 2008 in Peking zu begeistern versuchte und in der amerikanischen Subprime- und der Eurokrise endgültig auf Schulterhöhe mit der westlichen Welt rückte. Gebaut wird an einem neuen Super-China, mit noch größerem Einfluss und umfangreicher Präsenz: eine führende Weltraum- und Hochtechnologiemacht, die der Erfüllung des „Chinesischen Traumes“ (Xi 2016) entgegensieht.

Mit der Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik (VR) am 1.10.2019 wurden Größe und Selbstbewusstsein demonstriert und der Supermachtanspruch gefestigt. Die Demonstration modernster Waffensysteme erregte internationale Aufmerksamkeit. Gleichzeitig versucht die Staats- und Parteiführung, nationale Einheit und territoriale Integrität zu beschwören und beklagt interne Bedrohungen durch die „drei Übel“ („evil forces“) Terrorismus, Separatismus und Extremismus. Dies richtet sich gegen islamistische Anschläge oder muslimische Aufstände in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang, tibetische Forderungen nach religiöser Freiheit und kultureller und politischer Eigenständigkeit sowie gegen taiwanesische Unabhängigkeitsbestrebungen. In diesem Zusammenhang stellen sich Fragen nach Stabilität und Zukunftsfähigkeit des Pekinger Systems: Die Proteste in Hongkong, der Handelskonflikt mit den USA, eine Wirtschaftsflaute, die das geringste Wachstum seit 30 Jahren bedingt, eine mögliche Bankenkrise, Schweinepest, Geflügelseuche, die Ende 2019 ausgebrochene Coronavirus-Epidemie und schließlich der überragende Wahlsieg der peking-kritischen Präsidentin Tsai Ing-wen im Januar 2020 in Taiwan könnten zusammengenommen einen Wendepunkt in der politischen Entwicklung Chinas darstellen. Zum traditionellen Herrschaftskonstrukt in China gehört das „Mandat des Himmels“. Den Kaiserthron durch Kriegslist oder politisches Geschick zu besetzen, reichte nicht aus. Der Herrscher hatte als Mittler zwischen Himmel und Erde zu fungieren und trug zahlreiche Verantwortungen und Pflichten. Dazu gehörte die Abwendung von Naturkatastrophen und Seuchen. Überschwemmungen, Erdbeben und Hungersnöte waren ein Zeichen, dass der Kaiser nicht mehr das Mandat des Himmels besaß. Es bedeutete das Ende seiner Herrschaft. Chinas Geschichte verzeichnet zahlreiche Aufstände und Umstürze, die in Zusammenhang mit Naturkatastrophen und sozio-ökonomischer Instabilität stehen. Daher rührt auch der faktenwidrige Umgang mit der Coronakrise. Gelingt es der gegenwärtigen Führung nicht, den zahlreichen Herausforderungen von Aufständen, Wirtschaftsflauten und Epidemien zu begegnen, droht ihr trotz Machtfülle und Aufhebung der Amtszeitbeschränkung Gefahr, vor der die totalitäre Herrschafts- und Überwachungspraxis (Totalitarismus) schützen soll. Dem Gesamtsystem geht es nur um Machterhalt.

Für das Weltverständnis gilt nach wie vor das Prinzip Tianxia, „alles unter einem Himmel“ (Zhao 2019): ein harmonisierendes Weltmodell, das eine für alle befriedigende Nutzensteigerung suggeriert, das aber wie selbstverständlich auf das Reich der Mitte ausgerichtet ist. Die menschliche Schicksalsgesellschaft hat demnach Peking zum Zentrum – zum allgemeinen Besten, wie auch die Seidenstraßenstragie dargestellt wird.

Chinas historisch-kulturelle Machtbasis ist ohne Zweifel. Das große Reich gehört zu den ältesten Zivilisationen und Hochkulturen der Welt. Kunst, Schrifttum und wertvolle Produkte sind berühmt. Seine große und zunehmend einkommensstärkere Bevölkerung von ca. 1,4 Mrd. Menschen stellt eine erhebliche Marktmacht dar. Hard power ist ausreichend angesammelt: globaler wirtschaftlicher Einfluss, zweitstärkste Wirtschaftsmacht, beachtliches militärisches Potential, das die unmittelbare Umgebung dominiert und Präsenzansprüche weit außerhalb der Nachbarstaaten darstellt.

2. Macht, Umsturz und Reform in der Geschichte

Chinas Geschichte ist geprägt von glanzvoller Herrschaft, erfolgreicher Staatsführung, der Dynastiegeschichtsschreibung und höchsten Errungenschaften in Literatur und Kunst. Frühe staatliche Organisationsformen und hoch entwickelte Kulturen lassen sich bis in das 17. vorchristliche Jh. zurückverfolgen. Das erste Königtum, die Shang-Zeit, wird auf das 14. bis 11. Jh. v. Chr. datiert. Doch die Annahme, China verfüge über mehr als 2 000-jährige Tradition eines einheitlichen und stabilen Kaisertums, ist irreführend. Zu unterschiedlich waren Herrschaftsformen, Machteliten und Machtkonzentration, geographische Besonderheiten und auch lokale Traditionen. Adels- und Priesterfamilien, Monarchen, Kriegsherren, rivalisierende Beamtencliquen und sogar Gelehrte rangen immer wieder um Regierungsgewalt und Einfluss. Auch garantierte ein starker, zentraler Kaiserhof keineswegs Frieden und Entwicklung. Im Gegenteil: Einheit und erfolgreiches Staatswesen wurden mit Gewalt und Autorität erzwungen. Die Begründer der großen Denkschulen und Staatslehren Chinas, Konfuzius, Menzius, Mo Di und die Daoisten Laotse und Zhuangzi lebten in der klassischen Zeit der „Streitenden Reiche“ zwischen dem 6. und 3. vorchristlichen Jh., und damit vor der Reichseinigung durch Kaiser Qin Shi Huang Di, der etliche Gelehrte umbringen ließ.

Chinas Regionen erlebten aber auch wirtschaftlichen Niedergang und Stillstand, Umstürze, Dynastiewechsel, Fremdherrschaft, Gewalt und Krieg, Naturkatastrophen und Hungersnöte. Folglich ist Sehnsucht nach Frieden und Stabilität ein immer wieder erscheinendes Element in der Literatur- und Geistesgeschichte. Die Idealvorstellung des gelehrten Beamten, der sich in die ebenfalls idealisierte oder gestaltete Natur zurückzieht, um die klassischen Schriften und ihre Kommentare zu studieren und seine Fähigkeiten und Kenntnisse zu vervollkommnen sucht, spiegelt ebenfalls Suche nach Ordnung und Harmonie. In diese Narrative vom idealen Gelehrtenleben mischen sich aber auch anarchistische Motive und der Wunsch nach der Befreiung von Herrschaft, Konventionen und tradierten Gesetzmäßigkeiten.

Die Kaiserzeit ging in China nicht erst 1911 an eigener Unfähigkeit, Misswirtschaft und Verschwendung zu Grunde. Ihr Niedergang begann gegen Ende des 18. Jh., am Ende der Qianlong-Ära. Korruption, Vetternwirtschaft, Veruntreuung öffentlicher Mittel, tyrannische Militäreinsätze, steigende Abgabenlast und zunehmende Bürokratie führten zu sozialen Spannungen und wirtschaftlichen Verwerfungen. Aufstände notleidender Bauern, teilweise unterstützt durch sogenannte Geheimgesellschaften, wie die Organisation des Weißen Lotus, brachen aus. Die Schieflage der staatlichen Finanzen, wachsende Bevölkerung, Banditenwesen und eine katastrophale Überschwemmung 1855, bei der sich der Unterlauf des Gelben Flusses verlagerte, verschlechterten die Versorgungslage. Unruhen weiteten sich von lokalen Protesten zu landesweiten Aufständen aus. Gleichzeitig versäumte China eine notwendige Modernisierungspolitik und entwickelte nicht, wie bspw. Japan in der Meiji-Ära, fortschrittliche Formen von Industrie, Militär und Verwaltung. Es gab durchaus Politiker und Wissenschaftler, die die Einführung westlicher Technik, Industrie- und Geschäftsfelder diskutierten. Doch gegen Traditionalisten und schwerfällige Hofbürokratie konnten sie sich nicht durchsetzen.

Die kolonialistische Interventionspolitik (Kolonialismus) des Westens verschärfte die Situation. 1842 war China gezwungen, die „Ungleichen Verträge“ im Zusammenhang mit den Opiumkriegen zu unterzeichnen. Soziale Spannungen und Verzweiflung, mehrere Wirtschafts- und Finanzkrisen sowie Proteste gegen den zunehmenden ausländischen Einfluss führten zum Taiping-Aufstand („Großer Frieden“, 1851–1864), eine der schlimmsten Zerstörungswellen der chinesischen Geschichte. Verelendete Kleinhändler und Transportarbeiter schlossen sich einem von Missionaren beeinflussten südchinesischen Prediger an. Hong Xiuquan errichtete ein egalitaristisches und revolutionäres Gemeinschaftssystem mit strengem militärischen und religiösen Diktat. Friedlich waren die Taiping keineswegs: Anhänger der alten Ordnung wurden umgebracht, ihr Besitz verteilt. Die Taiping eroberten und zerstörten weite Teile Südchinas, verbündeten sich mit muslimischen Aufständischen im Westen und bedrohten Peking. Zwar gelang es 1875, die Taiping und andere Aufstände niederzuschlagen, doch der Zusammenbruch der Mandschu-Dynastie war abzusehen. Nach den Niederlagen gegen Japan 1894 und dem „Vertrag von Shimonoseki“ verlor China seine territoriale Souveränität und wirtschaftliche Eigenständigkeit. Die Umwälzungen 1911 f. führten zum Ende des Kaisertums. Doch gelang es dem Vater des modernen China, Sun Yat-sen, nicht, eine stabile republikanische Ordnung aufzubauen. Vielmehr lag die Macht in den Händen abwechselnder und rivalisierender Militärführer. Mit der Gründung der KPCh 1921 (Kommunistische Parteien) folgte bald das erste Kapitel eines neuen chinesischen Bürgerkriegs gegen die nationalchinesische Kuomintang, der, auch während der japanischen Invasion 1937–1945 fortgeführt, erst 1949 mit der Ausrufung der VR durch Mao Zedong endete. 1949 war China ein verelendetes, verarmtes, hoffnungsloses Land.

Vor dem Hintergrund der Verwerfungen und der Not, die die Bevölkerung im 19. und bes. im 20. Jh. nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs zwischen Kommunisten und Nationalchinesen erleiden musste, ist der Sieg der KPCh auf dem Festland 1949 leichter greifbar. Doch Mao musste sich gegen politische Rivalen, gegen andere sozialistische Schulen und gegen Moskaus Macht- und Interpretationshoheit durchsetzen. Dem sino-sowjetischen Zerwürfnis und dem Abzug aller technischen und finanziellen Hilfe aus China folgte eine Wirtschaftskrise, die durch die Auswüchse der desaströsen Massenkampagne Maos, den „Großen Sprung nach vorne“, verschlimmert wurde. Um die Überlegenheit maoistischer Wirtschaftspolitik zu beweisen und den Umbau der Gesellschaft und die Industrialisierung ländlicher Gebiete voranzutreiben, wurden kleine Hochöfen überall auf dem Land aufgestellt und alles greifbare Metall und Eisen eingeschmolzen, um „Stahl“ herzustellen. Der Betrieb der Öfen verschlang den Baumbestand und absorbierte die Arbeitskraft von Bauern, die von der Ernte und Bestellung landwirtschaftlicher Flächen abgezogen wurden. Die durch den „Großen Sprung nach vorne“ ausgelösten Hungersnöte kosteten über 40 Mio. Menschen das Leben. Um seine Machtpositionen nach diesem Desaster zurückzuerobern, initiierte Mao die „Große Proletarische Kulturrevolution“, eine politische Massenkampagne. Ihr Ziel war, die Revolution zu beschleunigen und „konterrevolutionäre“ oder „revisionistische“ Kräfte auszuschalten. Die jungen „Roten Garden“ tyrannisierten weite Teile der Bevölkerung und vernichteten die „alten Übel“, alte Schriften, Kunstgegenstände, ganze Tempel. Institutionen wurden geschlossen, öffentliche Ordnung und Bildungsbetrieb brachen zusammen. Wer sich der Bewegung verweigerte oder nicht ausreichend Selbstkritik betrieb, musste mit Prügeln oder Tod rechnen – oder flüchtete in Selbstmord. Bürgerkriegsähnliche Zustände zerstörten die Wirtschaft und isolierten die VR politisch. Erst mit Maos Tod 1976 und Deng Xiaopings wirtschaftlicher Modernisierung ab 1978 erholte sich China. Dengs Reformpolitik bewältigte die Gratwanderung zwischen wirtschaftlichen Reformen und kommunistischer Rhetorik (Kommunismus). Sie war die Voraussetzung für Chinas rasanten Aufstieg ab den späten 1990er Jahren zur inzwischen zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. Zum Erfolg trugen geschickte wirtschaftliche Experimente, wie die Sonderwirtschaftszonen, die bei Erfolg auch in anderen Landesteilen umgesetzt wurden, und eine Reduzierung der zentralwirtschaftlichen Planung bei. Die Wirtschaft bewältigte die internationalen Krisen der letzten Jahrzehnte auch dank eines immer noch relativ abgeschotteten Finanzmarkt- und Wirtschaftssystems samt massiver staatlicher Unterstützung. 2008 war ein Wendepunkt für die Position im internationalen System. Ohne Peking ist kein Thema der internationalen Sicherheits- und Wirtschaftspolitik mehr verhandelbar. Mit seiner Seidenstraßeninitiative ist China nicht nur an der Türschwelle, sondern im Herzen Europas angekommen.

3. Globale Strategie: Dimensionen und Differenzebenen der Seidenstraßeninitiative

Die Neue Seidenstraße, die Belt and Road Initiative, ist ein gigantisches Infrastrukturinvestitionsprogramm, das China über strategische Wirtschaftskorridore, neue Handelszentren und Kommunikationskanäle mit der Welt verbinden und gleichzeitig die Energieerzeugung und Rohstoffversorgung sichern soll. Belt stellt die Landverbindungen dar, Road die Seewege. Auf nationaler Ebene sollen der etwas weniger entwickelte Norden und Westen modernisiert und die Lebensumstände verbessert werden. Die Benachteiligung der Uiguren in Xinjiang hatte zu Protesten und auch terroristischen Anschlägen geführt. Internationale Organisationen weisen die Unterdrückung von (ethnischen) Minderheiten in China nach.

In der asiatischen Region möchte Peking in den wirtschaftlich und politisch instabilen zentralasiatischen Staaten investieren, um Energieressourcen zu entwickeln, die Transportinfrastruktur auszubauen und den eigenen Einfluss zu festigen. Verkehrstechnik und Logistik in Zentralasien sind Voraussetzung für den Ausbau der Routen nach Europa. Peking versucht, die Beziehungen zu den Staaten Südostasiens und Südasiens zu verbessern. Über Myanmar, Bangladesch und Pakistan sollen Zugänge zum Indischen Ozean und zum Arabischen Meer gesichert werden.

Peking strebt globalen Einfluss auf See- und Handelsrouten, einschließlich der Südhalbkugel und der Polargebiete an, aber auch militärische Präsenz außerhalb seiner Territorialgewässer. Seit 2003 schützt China seine Auslandsinvestitionen in mineralische Ressourcen. Offiziell verspricht es dabei, sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einzumischen. Finanzpolitisch möchte die chinesische Regierung ihre Währung international besser platzieren und als Alternative am Kapitalmarkt (Geld- und Kapitalmarkt) und im Zahlungsverkehr anbieten, was durch eigene, neu ausgebaute Industriezweige und Handelswege unterstützt wird.

Das Belt and Road-Programm hat nicht nur verschiedene geographische Ebenen. Es ist als dreidimensionale Zukunftsversion chinesischer Expansion zu interpretieren. Die erste – horizontale – Dimension besteht aus den Handels- und Schifffahrtswegen, die China nicht nur mit Europa, sondern mit fast allen Schwellen- und Industrieländern verbindet. Mitzudenken sind hierzu neue Routen und Investitionsmöglichkeiten, die sich durch die Klimaveränderung ergeben, wie bspw. die „Nordostpassage“ um Russland oder die (energie-)wirtschaftliche Nutzung der Polargebiete. Zur zweiten Dimension gehört Chinas Politik, die Versorgungssicherheit mit Rohstoffen, insb. Energie, sprichwörtlich vertikal, in der Erde bzw. unter dem Meeresboden, weltweit mit Konzessionen und Investitionen, auch mit dem Bau von Pipelines und Kraftwerken, zu erhöhen. Die dritte Dimension bildet vertikales Engagement in die andere Richtung ab: das Weltraum- und Raketenprogramm. Damit verbunden sind der Wettlauf um die Kontrolle über Datenströme und Kommunikationszentren und die Hoheit über neue technische Standards. Schließlich investiert China nicht nur in Öl, das „schwarze Gold“ von gestern, sondern in das digitale Gold der Zukunft: Daten und die damit verbundene Technik.

Die Seidenstraßeninitiative ist in ihren weiten geographischen und finanzpolitischen Kategorien auch ein Abbild neuen Selbstbewusstseins. Sie dient nicht nur dem Austausch von Waren, Rohstoffen und Dienstleistungen, sondern auch der Kommunikation und dem Transport von Daten. China bietet Hochleistungstechnologie an und unterstützt den internationalen Klimaschutz. Es ist einer der größten Investoren in alternative und nicht-fossile Energieproduktion. „China goes green“ (Xinhuanet 2019) ist ein neues Entwicklungsziel, das ökologische und soziale Faktoren berücksichtigt. Schließlich sollen die Seidenstraßenkorridore auch kulturellen Austausch und Tourismus fördern. China möchte Kulturzentren errichten und visa-freies Reisen ermöglichen.

4. Kritik an der Seidenstraßeninitiative

Kritik an überdimensionierten Projekten verbindet sich mit Fragen nach Wirtschaftlichkeit, Finanzierung und sinnvoller Verkehrsanbindung. Zu große Kraftwerke oder Straßen und Brücken ohne Anbindung wurden gebaut. Gerade kleine oder ärmere Länder sind mit der Finanzierung großer Infrastrukturprojekte überfordert und laufen in eine Schuldenfalle, wie Laos, Pakistan, Sri Lanka, oder Montenegro. Kritikpunkte sind zudem Umweltschutz, soziale Verträglichkeit, Korruption und Beachtung von Ausschreibungsmodalitäten, insb. bei Mega-Verkehrsprojekten. Auftragsnehmer und Kreditgeber sind meist chinesische Unternehmen und Banken. Allerdings leiden auch sie unter Planungsmängeln und Finanzierungslücken. Die Hochwachstumsphase ist vorbei. Chinas Wirtschaft wird umgebaut. Der Niedriglohnsektor wandert ins billigere Ausland. Die Ausgaben für Infrastruktur werden gekürzt. Der Bedarf an neuen Flughäfen, Straßen und Eisenbahnlinien wächst nicht mehr in gleichem Maß. Die Kommunen sind verschuldet. Die Bereitschaft sinkt, zweistellige Milliardensummen im Ausland zu investieren, wenn soziale Belange, bspw. der Ausbau des Gesundheitssystems, dringender werden.

Einige Regierungen vermeiden es, chinesische Investoren zu verschrecken. Polen und Griechenland versuchten, europäische Stellungnahmen zur Menschenrechtslage (Menschenrechte) in China zu verhindern. Mit 16plus1, einer Partnerschaft Chinas mit osteuropäischen Staaten, hat die chinesische Regierung ein Instrument geschaffen, das durchaus das Potential besitzt, die EU zu spalten. Die Außenpolitik einiger osteuropäischer Staaten gegenüber China lässt nach Brüsseler Ansicht Defizite in der Abbildung gemeinsamer Normen und Regeln der EU erkennen. China hat insb. in Bosnien, Serbien, Tschechien, Rumänien und Montenegro Milliardenbeträge investiert. Es fragt sich, ob China bewusst in schwache Volkswirtschaften investiert und instabile politische Systeme ausnutzt. Die Situation in Pakistan oder Bangladesch mag diese Beobachtung stützen. Doch die bevölkerungsreichen Volkswirtschaften in Südasien und im südlichen Afrika wachsen und bewirken die Verlagerung von Marktstrukturen und Handelsrouten.

5. Grenzen der Kooperation: Das Südchinesische Meer

Das Südchinesische Meer ist nach Ansicht Pekings chinesisches Gebiet, ungeachtet der Proteste asiatischer Nachbarn und internationaler Beobachter. Nach der chinesischen Regierung ist ihre Außenpolitik unabhängig, aber partnerschaftlich. Sie fuße auf dem Friedlichen Entwicklungsweg und den Fünf Prinzipien der Friedlichen Kooperation, allen voran dem Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung. Die Grenzen dieser Kooperation sind allerdings erreicht, sobald China nationale Interessen und Rechte gefährdet sieht. Dies betrifft insb. das Südchinesische Meer. Chinas Machtdemonstrationen kollidieren mit den Territorialansprüchen Vietnams, der Philippinen, Malaysias, Bruneis und Indonesiens, was gerade in Süd-O. zu Kritik an der Großmachtpolitik führt. Im Fokus stehen nicht nur die Ausbreitung der Marinepräsenz, sondern auch die erheblichen Verbindlichkeiten gegenüber China. Peking hat Inseln und Riffe besetzt und baut diese massiv aus. Das internationale Seerecht, UNCLOS, definiert, welche Rechte Staaten in ihrer 12-Seemeilenzone haben und unter welchen Bedingungen Ansprüche auf und um die 200-Seemeilen AWZ erhoben werden können. Zu diesen Bedingungen gehört bspw., dass auf Inseln ganzjährig wirtschaftliches Handeln und menschliches Leben möglich sind. Auf viele Sandbänke und Riffe in dieser See trifft dies nicht zu. Strategisch günstig auf den Ölimportrouten des Mittleren Ostens und den Exportrouten O.s gelegen, hat das Südchinesische Meer erhebliche Bedeutung: 30 % des Welthandels und über 70 % der Ölexporte aus dem Persischen Golf laufen durch dieses Seegebiet. Ein Weißpapier des Staatsrats behauptet, andere Mächte hätten dort illegal chinesische Inseln und Riffe besetzt: China lässt eine Tendenz zur Eskalation erkennen und hat den Inseldisput weitgehend für sich entschieden. Das Seegebiet ist reich an Fisch und verfügt über Öl- und Gasvorkommen. Außerdem winkt ein weiteres Multimillionengeschäft: Tourismus.

6. Chinas Aufstieg: Ende des Westens?

Chinesischen Unternehmen und Institutionen wird vorgeworfen, sich am Raubbau von Landwirtschaft und Rohstoffen zu beteiligen, verborgene, unlautere Absichten, eine hidden agenda zu haben, mit billigen Krediten der Staatsbanken versorgt zu sein und insgesamt von unfairen Bedingungen zu profitieren. Ausländische Akteure, Staaten, Unternehmen und Institutionen können sich den von China ausgehenden neuen Schwerkräften nicht mehr entziehen. Die EU aber transformiert ihre erhebliche wirtschaftliche Macht, ihren Markt mit über 500 Mio. Menschen und ihre Größe nicht in politischen Einfluss. China ist der neue weltweite Investor und Kreditgeber, repräsentiert den größten Markt der Welt und investiert international Rekordsummen. Gilford John Ikenberry beschrieb den Aufstieg Chinas als eines der großen Dramen des 21. Jh. und analysierte, ob China die bestehende Weltordnung stützt oder ändert. Autoritarismus und staatlich gelenkte Entwicklungsmodelle fordern westliche Normen heraus. Der Westen repräsentiert nur 12 % der Weltbevölkerung und kann seine internationale Dominanz kaum mehr rechtfertigen. In Zukunft werden die großen asiatischen Volkswirtschaften internationale Wirtschaftskrisen verursachen oder verhindern. Auf dem Weltwirtschaftsforum 2017 stellte Präsident Xi Jinping China als Verteidiger der Globalisierung und des Freihandels sowie als Ausgleich gegen von Washington ausgehende Unsicherheiten dar. Weltpolitisch sind Machtverschiebungen zu beobachten. Die VR investiert politisches und wirtschaftliches Kapital strategisch, um Freiräume zu besetzen und sich sowohl in der Nachbarschaft, als auch international ein den eigenen Interessen verpflichtetes Einflussfeld zu schaffen.