Organ

1. Zur Genese des Begriffs

Das Wort O. ist griechischen Ursprungs: Wurde „Organon“ anfänglich als Werkzeug im mechanischen Sinne verstanden, hat der Begriff schon in der Antike eine Bedeutungsausweitung erfahren. So bezeichnet Aristoteles die selbständigen Glieder eines lebendigen Körpers, insb. die Hände als O.e (part. an. 687a: 16–23). Diese Bedeutung hat der Begriff in der Biologie bewahrt. An dieses biologische Verständnis anknüpfend bezeichneten die Sozialtheoretiker des 19. Jh., die gesellschaftliche Gruppen als lebendige Einheiten ansahen, deren Glieder als O.e. Von hier aus wurde der Begriff schließlich insb. von Otto von Gierke und Hugo Preuss in die rechtswissenschaftliche Terminologie übernommen.

2. Bedeutung in der Rechtswissenschaft

In der Rechtswissenschaft ist der Begriff des O.s für die Teilnahme von juristischen Personen und teilrechtsfähigen Organisationen am Rechtsverkehr – daher sowohl im Zivil-, insb. im Gesellschaftsrecht, als auch im Verfassungs- wie Verwaltungsrecht – von zentraler Bedeutung. Denn juristische Personen sind zwar rechts-, nicht aber handlungsfähig. Handeln können nur Menschen. Aufgrund rechtlicher Anordnung können entsprechende Handlungen von Menschen juristischen Personen zugeordnet werden. Das O. fungiert als Medium, indem das Handeln eines oder mehrerer Menschen als Organwalter dem O. und hierdurch vermittelt der juristischen Person zugeordnet wird. Dabei ist das O. als institutioneller Komplex unabhängig vom Wechsel des jeweiligen Organwalters. Die durch Organisationsrecht zugewiesenen Zuständigkeiten des O.s können im Innenverhältnis zu etwaigen anderen O.en als eigene angesehen werden. Da aber Zurechnungsendsubjekt die Organisation selbst ist, handelt es sich im Verhältnis zu ihr um Fremd- oder transitorische Wahrnehmungszuständigkeiten. Soweit das O. als Rechtssubjekt bezeichnet wird, kann sich dies daher allein auf das Innenverhältnis beziehen; im Außenrechtskreis ist das O. selbst nicht rechtsfähig, sondern allein die juristische Person, für die es handelt. Dieses Handeln kann in Rechtsakten, aber auch in Realakten bestehen. Der wesentliche rechtskonstruktive Unterschied zur Stellvertretung, bei der der Vertreter den Vertretenen durch Abgabe bzw. Empfang von Willenserklärungen im Ergebnis ebenfalls rechtlich bindet, besteht darin, dass das Organwalterverhalten vermittelt über das O. der juristischen Person als eigenes zugeordnet wird, während der Stellvertreter für eine fremde Person handelt.

3. Entstehung und Kategorisierung von Organen

Von der organisationsrechtlichen Kompetenzzuweisung zu unterscheiden ist das der Organwalterbestellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis des konkreten Organwalters mit der juristischen Person. Aus diesem Rechtsverhältnis ergeben sich die persönlichen Dienstpflichten des jeweiligen Organwalters. Die Zuweisung eines konkreten Menschen, der als Organwalter bestimmte O.-Funktionen wahrzunehmen hat, ist als Einrichtung zu unterscheiden von den notwendig vorausgehenden Stufen der abstrakt-normativen Bildung des O.s sowie der anschließenden konkreten Errichtung des O.s.

Die O.e lassen sich nach verschiedenen Kriterien klassifizieren, so – nach Hans Julius Wolff – als vertretungsbefugte i. e. S. und bloß geschäftsführungsbefugte (reine Innen-O.e); als notwendige und erlässliche, überdies nach ihren Funktionen (regierend, kontrollierend, richterlich, verwaltend) oder ihrem organisatorischen Rang. Nach der Struktur der O.e kann zwischen monistischen (ein Organwalter), monokratischen (leitender Organwalter mit weiteren weisungsabhängigen Organwaltern) und Kollegial-O.en (bestehend aus mehreren gleichberechtigten Organwaltern) unterschieden werden. Im letzteren Fall wird der maßgebliche Wille des Kollegial-O.s durch Mehrheitsbeschluss gefasst, so dass der natürliche Einzelwille eines Organwalters durchaus von dem verbindlichen Gesamtorganwillen abweichen kann. Klassisches Beispiel für derartige Kollegial-O.e sind die Parlamente, aber auch die Volksvertretungen auf kommunaler Ebene sowie die Mitglieder- bzw. Repräsentativversammlungen im Bereich der funktionellen Selbstverwaltung. Dabei sind die Organwalter als Teile des Gesamt-O.s regelmäßig mit eigenen, wenngleich nur internen Rechten im Prozess der Gesamtwillensbildung ausgestattet (Rede-, Informations- und Mitbestimmungsrechten). Von solchen O.-Teilen sind Unter-O.e zu unterscheiden, die – wie die Ausschüsse in Parlamenten und Kommunalvertretungen – grundsätzlich lediglich vorbereitende Aufgaben haben.

4. Organe im Verfassungs- und Verwaltungsrecht

Nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird die Staatsgewalt durch bes. O. der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Diese Aufteilung auf unterschiedliche O.e ist klassisches Element der Gewaltenteilung. Nur wenn auch diese organisatorische Trennung der im Ursprung einheitlichen, nach Funktionen differenzierten Staatsgewalt erfolgt, ist dem Machtmissbrauch effektiv vorgebeugt. Diese organisatorische Gewaltenteilung in unterschiedliche O.e findet ihre konsequente Fortsetzung mit Blick auf die konkreten Organwalter in der personellen Gewaltenteilung (Inkompatibilitäten). Auf Bundesebene sind O.e der Gesetzgebung Bundestag und Bundesrat, O.e der vollziehenden Gewalt insb. Bundeskanzler, Bundesregierung und Bundesminister, aber auch die nachgeordneten Bundesbehörden, O.e der Rechtsprechung das BVerfG sowie die übrigen Bundesgerichte. Deren Handeln wird jeweils der BRD zugeordnet. Dabei bezweckt die Aufteilung auf verschiedene O.e – neben der Verhinderung von Machtmissbrauch – auch die effektive Aufgabenerledigung durch eine jeweils aufgabenadäquate Ausgestaltung der Struktur der O.e und ihrer Entscheidungsprozesse. Soweit die genannten O.e jeweils unmittelbar in der Verfassung verankert und mit eigenen Kompetenzen ausgestattet sind, sind sie Verfassungs-O.e. Der Begriff der Staats-O.e ist weiter, er erfasst auch solche O.e, deren Handeln zwar ebenfalls dem Bund (Bundes-O.e) oder Land (Landes-O.e) unmittelbar zugeordnet wird, die aber nicht notwendig verfassungsrechtlich fundiert sind. Auch rechtlich verselbständigte Verwaltungsträger – insb. Kommunen u. a. Körperschaften (Kammern, Universitäten), Anstalten und Stiftungen – handeln durch ihre jeweiligen O.e. Dies sind in den Kommunen v. a. die nach Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG obligatorischen, unmittelbar demokratisch legitimierten und repräsentativ besetzten Vertretungen (Rat, Kreistag) sowie die Hauptverwaltungsbeamten (Bürgermeister, Landrat). Begrifflich sind vom O. die Behörde – legaldefiniert in § 1 Abs. 4 VwVfG als jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt – und das Amt, das seinerseits verschiedene Bedeutungsvarianten umfasst, zu unterscheiden.

Soweit ein Rechtsträger mehrere O.e hat, müssen deren Beziehungen rechtlich geregelt werden, bedarf es insb. einer klaren Zuordnung sowie Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen. Kompetenzkonflikte werden im Falle eines hierarchischen Verhältnisses der O.e durch entsprechende Anordnung des übergeordneten O. entschieden, im Falle der Gleichordnung steht der Rechtsweg offen. So eröffnet auf Bundesebene Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG für oberste Bundes-O.e u. a. durch das GG oder die Geschäftsordnung eines obersten Bundes-O.s mit eigenen Rechten ausgestattete Beteiligte die Möglichkeit im Wege des O.-Streits ihre Rechte vor dem BVerfG zur Geltung zu bringen (vergleichbare Regelungen auf Landesebene). Unterhalb der Verfassungsebene findet dies seine Entsprechung. Von praktischer Relevanz ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges insb. zur Durchsetzung solcher Wahrnehmungszuständigkeiten auf kommunaler Ebene. Im Rahmen eines sogenannten Kommunalverfassungsstreits können O.e gegenüber anderen O.en (Interorganstreit), aber auch O.-Teile wie Ratsmitglieder und Fraktionen gegenüber dem Gesamt-O. (Intraorganstreit) ihre Kompetenzen gerichtlich geltend machen. Freilich sind O.e wie deren Teile rechtlich gehalten, den Konflikt vorrangig vor Inanspruchnahme des Gerichts intern auszutragen. Dieses Gebot ist eine Ausprägung des Grundsatzes der O.-Treue, der das gesamte Verhältnis der O.e eines Rechtsträgers zueinander determiniert, dessen optimale Funktionstüchtigkeit ihre gemeinsame Aufgabe ist.

Eine Besonderheit stellt die O.-Leihe dar, die sowohl auf Verfassungs- (Art. 96 Abs. 5 GG: Oberlandesgerichte werden als Bundesgerichte tätig) wie auf der Ebene des einfachen Rechts (z. B. in NRW: Landrat des Kreises als untere staatliche Verwaltungsbehörde) vorgesehen ist. Kennzeichnend ist insoweit, dass – anders als bei der Übertragung einer Aufgabe auf einen anderen Rechtsträger – ein Rechtsträger höherer Ebene sich ein O. eines anderen Rechtsträgers durch einseitigen Akt ausleiht mit der Folge, dass das jeweilige O. im Umfang der Ausleihe in den ausleihenden Rechtsträger integriert und als dessen O. tätig wird, dem entspr. das Handeln des O.s unmittelbar zugeordnet wird.

5. Organe des Privatrechts

O.e des Privatrechts sind insb. der Vorstand des Vereins, der Geschäftsführer einer GmbH, der Vorstand, Aufsichtsrat und die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft. Die genannten O.e haben jeweils in den einschlägigen Organisationsregelungen normativ zugewiesene Zuständigkeiten und Kompetenzen, die die Organwalter für jene ausüben, so dass die Rechtsfolgen ihres Handelns im Endpunkt die jeweilige juristische Person als Rechtsträger treffen.