Kommunalrecht

1. Begriff und historische Grundlagen

K. umfasst die Normen über Aufgaben, Organisation und Handlungsweisen der kommunalen Körperschaften, zu denen die Gemeinden und die Landkreise und ihre Zusammenschlüsse gehören. Das K. wurde in den Städten geboren; Städteordnungen mit kommunalen Doppelspitzen gab es bereits im Römischen Reich. Im Hoch- und Spätmittelalter entwickelten sich infolge des florierenden Handels moderne Stadtrechte, die weithin „exportiert“ wurden. Geburtstunde des „modernen“ K.s war die Preußische Städteordnung des Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein von 1808, durch die der von Napoleon paralysierte Staat „von unten her“ neu aufgebaut werden sollte. Die vormals ständische Selbstverwaltung wird darin durch das Recht der Bürgerschaft ersetzt, alle örtlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu erledigen. Dadurch sollte eine neue Identifikation mit dem Staat erreicht werden. Dieser Gedanke verfestigt sich im 19. Jh. in allen deutschen Staaten und findet Eingang in Art. 127 WRV; in Weimar entsteht auch die Deutung der kommunalen Selbstverwaltung als institutionelle Garantie. Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholt sich das „bottom-up“-Syndrom (vgl. Art. 11 Abs. 2 BayVerf). Nach der Wiedervereinigung übernehmen einige „alte“ Bundesländer Patenschaften für die neuen Bundesländer, was auch zu einem teilweisen „Export“ des eigenen K.s führt (etwa Baden-Württemberg – Sachsen; Bayern – Thüringen).

2. Verfassungsrechtliche Grundlagen

2.1 Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung

In Art. 28 Abs. 2 GG wird das Recht der kommunalen Selbstverwaltung an zentraler Stelle garantiert. Es umfasst zum einen die aktive Beteiligung der Gemeindebürger an der kommunalen Willensbildung durch die Wahl von Repräsentanten und Elemente direkter Demokratie (Bürgerbegehren und -entscheid; Plebiszit). Durch die Beteiligung des Volkes auf lokaler Ebene wird die Akzeptanz von Entscheidungen wesentlich befördert und das Subsidiaritätprinzip (Subsidiarität) verwirklicht. Zum anderen wird der staatliche Einfluss in eigenen Angelegenheiten auf die Rechtsaufsicht begrenzt. Institutionell umfasst die Selbstverwaltung neben den Regelungen zur Wahl der Volksvertretungen in Gemeinden und Kreisen (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) auch das Recht der Gemeinde auf aufgabengerechte und angemessene finanzielle Ausstattung einschließlich mindestens der Ertragshoheit einer hebesatzfähigen Steuerart (Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG). Inhaltlich umfasst sie den Bereich der örtlichen Angelegenheiten (insb. Aufgaben der Daseinsvorsorge sowie kulturelle und soziale Dienstleistungen für die Gemeindeeinwohner). Abgeschwächt gilt dies auch für die Landkreise (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG), die ebenfalls eigene Aufgaben haben. Das Landratsamt nimmt jedoch auch staatliche Aufgaben wahr und handelt insoweit als Staatsbehörde. Neben dem GG enthalten auch fast alle Landesverfassungen entsprechende Garantien, die z. T. über die (eher knappe) Garantie des GG deutlich hinausgehen (z. B. Art. 11, 83 BayVerf; Art. 71–75 BadWüVerf; Art. 57–62 NdsVerf; Art. 78 f. NRWVerf).

Die kommunale Selbstverwaltung verschafft einmal den einzelnen Gemeinden ein gerichtlich durchsetzbares subjektives Abwehrrecht gegenüber Eingriffen des Staates. Diese sind nur durch ein formelles Gesetz oder aufgrund eines solchen zulässig; der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie ist dabei stets unantastbar. Institutionell garantiert sie zum anderen den Typus Kommune als verwaltungsrechtliche Organisationseinheit mit einem Mindestbestand eigenständiger Aufgabenerfüllung und die damit verbundenen Hoheitsrechte. Verletzungen der Selbstverwaltungsgarantie können durch die kommunale Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG) oder durch unterschiedliche Klagearten vor den Landesverfassungsgerichten geltend gemacht werden.

2.2 Gemeindehoheiten

Ausprägung der Selbstverwaltungsgarantie sind die sogenannten Gemeindehoheiten, die aber nicht streng abgegrenzt sind, sondern sich häufig überschneiden. Im Einzelnen fallen darunter:

Gebietshoheit: Als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind die Kommunen Träger der Hoheitsgewalt auf ihrem Gebiet (Gebietskörperschaft). Zwar hat die Gemeinde gegenüber dem Staat keinen Anspruch gegen Änderungen im Besitzstand (Neuordnungen, Fusionen, Grenzkorrekturen), doch einen justiziablen Anspruch, dass Gebietsänderungen sachlich begründet und verhältnismäßig sind. Das Gebiet der Länder ist in Gemeinden aufgeteilt, denen die katastermäßig erfassten Grundstücke i. d. R. zugeordnet sind. Allerdings gibt es auch „gemeindefreie Gebiete“ (regelmäßig unbewohnte Wald- und Seeflächen sowie Berggebiete), in denen die Kreise die Hoheitsgewalt ausüben.

Satzungshoheit: In Angelegenheiten des eigenen, örtlichen Wirkungskreises haben die Kommunen das Recht zum Satzungserlass. Hauptfelder sind die Benutzung gemeindlicher Einrichtungen (die aus kalkulatorischen Gründen, z. B. bei der Wasserversogung, auch für verbindlich erklärt werden kann), die Bauleitplanung und das Haushalts- und Abgabenrecht.

Personalhoheit: Kommunen besitzen als juristische Personen öffentlichen Rechts die Dienstherrenfähigkeit für die Anstellung von Beamten nach dem jeweiligen Landesrecht. Der Erste Bürgermeister (bzw. Oberbürgermeister) ist Dienstvorgesetzter der Beamten und Angestellten einer Gemeinde, der Landrat für solche des Landkreises. Ihre Dienstverhältnisse als kommunale Wahlbeamten sind i. d. R. in eigenen Wahlbeamtengesetzen geregelt. Als Arbeitgeberinnen regeln die Kommunen nach den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG Auswahl, Einstellung, Aufstieg und Beförderung der Beschäftigten selbständig.

Organisationshoheit: Kommunen können ihre Binnenorganisation frei regeln, etwa die Einrichtung von Abteilungen, Ämtern und Dezernaten und die Geschäftsverteilung. Darunter fällt auch die Ausgründung von Stiftungen (z. B. Krankenhäuser und Senioreneinrichtungen) oder kommunalen Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften (Stadtwerke, sozialer Wohnungsbau, Müllheizkraftwerke) sowie die Bündelung von Fürsorgeleistungen. Auch die Entscheidung über die Sachmittelausstattung und die Ausgestaltung der Stellenpläne fallen unter die Organisationshoheit. Grenze der Organisationshoheit ist die finanzielle Belastbarkeit der Gemeinde, die vom Staat im Rahmen seiner Aufsichtspflicht vor zu hohen Ausgaben geschützt werden muss (z. B. in Stellenobergrenzen-VO). Auch darf der Staat punktuell die Einrichtung von Stellen vorschreiben, z. B. die Anstellung hauptamtlicher Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragter.

Kulturhoheit: Innerhalb der Kulturhoheit der Länder ist die örtliche Kulturpflege v. a. kommunale Angelegeheit (vgl. Art. 83 BayVerf). Die identitätsstiftende und integrierende Funktion der Gemeinden tritt hier bes. zu Tage. Als klassischer Bereich der Leistungsverwaltung existieren hier nur wenig gesetzliche Regelungen. Das Spektrum reicht von Pflichtaufgaben (Unterhalt von Schulen) zu freiwilligen Aufgaben (Errichtung und Unterhalt von Musik- und Volkshochschulen, Bibliotheken/Büchereien, Theatern und Konzerthäusern, Museen aller Art) auch im sozio-kulturellen Bereich (Jugendzentren, Gemeindehäuser) bis zur Förderung privater Initiativen (Theater-, Musik-, Brauchtums-, Historische Vereine etc.).

Finanzhoheit: Nach Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG obliegt den Gemeinden die Führung einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft. Zur finanziellen Ausstattung zählt (mindestens) „eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftsbezogene Quelle“. Tatsächlich sind es derzeit mit der Grundsteuer und der Gewerbesteuer sogar zwei solche Quellen (Art. 106 Abs. 6 GG), deren Steuersatz die Gemeinden selbst durch Satzung bestimmen können. Zum anderen haben die Gemeinden ein eigenes Steuerfindungsrecht, mit dem auch das Verhalten der Gemeindebürger gesteuert (Lenkungssteuern) oder zusätzlicher Gemeindeaufwand (Aufwandssteuern) finanziert werden kann (z. B. Hundesteuer, Vergnügungssteuer, Zweitwohnungssteuer), sowie das Recht, Beiträge (insb. Erschließungsbeiträge) und Benutzungs- und Verwaltungsgebühren zu erheben. Sie ergänzen die Anteile der Kommunen am ESt- und USt-Aufkommen und die Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich. Aus Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG folgt schließlich das Recht auf angemessene Finanzausstattung, das verletzt ist, wenn die Gemeinde nicht mehr in der Lage ist, eigenverantwortliche Entscheidungen bei der Aufgabenerfüllung zu treffen. Schutz gewährt das mittlerweile allgemein geltende Konnexitätsprinzip. Neue Aufgaben dürfen nur auf die Kommunen übertragen werden, wenn sie die dafür erforderlichen Mittel erhalten; eine direkte Aufgabenübertragung durch den Bund ist seit der Föderalismusreform 2006 durch Art. 84 Abs. 1 S. 7; 85 Abs. 1 S. 5 GG untersagt.

Planungshoheit: Hierzu zählt die kommunale Bauleitplanung und die Stadtentwicklungsplanung, durch die die Gemeinden ihre örtliche Entwicklung eigenverantwortlich gestalten können. K. und Bauplanungsrecht sind hier eng vermengt. Ortsplanung vollzieht sich i. d. R. zweistufig: Aus einem Flächennutzungsplan für das gesamte Gemeindegebiet sind konkretisierende Bebauungspläne mit Festsetzungen für Art und Maß der zulässigen Bebauung zu entwickeln. Mit vorhabenbezogenen Bebauungsplänen i. V. m. städtebaulichen Verträgen (§§ 11, 12 BauGB) können Projekte privater Investoren gesteuert werden, um Wirtschaftskraft und Versorgungsfunktionen einer Gemeinde zu stärken. Grenzen ergeben sich durch die staatliche Raumordnung und Landesplanung (Raumordnung und Landesplanung) sowie die Fachplanung von Infrastrukturprojekten (§ 38 BauGB).

Die Landkreise haben diese Hoheiten nur in eingeschränktem Maße; insb. fehlen ihnen die Planungshoheit, ein eigenes Steuerfindungsrecht und eine zugewiesene Ertragshoheit: Defizite im Kreishaushalt finanzieren sie vielmehr durch die sogenannte Kreisumlage, mit der die kreisangehörigen Gemeinden durch Kreissatzung pro rata herangezogen werden können.

3. Verwaltungsrechtliche Grundlagen

Als einer der verbliebenen „klassischen“ Bereiche der Landesgesetzgebungskompetenz zeigt das K. in den einzelnen Bundesländern eine große Varianz, die historisch zum einen durch den Dualismus preußisch-norddeutsche Tradition v süddeutsche Tradition (z. T. mit französischen Einflüssen), zum anderen durch den Einfluss der jeweiligen Besatzungsmächte in ihren Zonen geprägt war. Allen Modellen gemeinsam ist die Doppelorganschaft Bürgermeister – Gemeinderat, unterschiedlich hingegen die Art der Legitimation: Während im Norden der Bürgermeister durch den bzw. aus dem Gemeinderat gewählt wurde, favorisierte der Süden die Direktwahl von Bürgermeister bzw. Landrat durch das Volk; dieser Typus hat sich mittlerweile in Deutschland durchgesetzt. Organisatorisch ist das K. in den Gemeinde- und Landkreisordnungen geregelt. In einigen Flächenbundesländern gibt es auch noch höhere Einheiten, so in Bayern die Bezirke und in NRW die Landschaftsverbände. Weitere Gesetze regeln die Zusammenarbeit der Gemeinden und die möglichen Rechtsformen (z. B. Verwaltungsgemeinschaften und Zweckverbände für die gemeinsame und daher günstigere Erfüllung kommunaler Aufgaben, etwa im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs, der Krankenversorgung und der Abfallentsorgung).

Die Kommunalgesetze enthalten Vorschriften über die Stellung, Wahl und Zuständigkeiten der Organe, über verpflichtende und fakultative Aufgaben, über Haushalts- und Finanzwirtschaft sowie über die wirtschaftliche Betätigung. Letztere unterliegt zum einen der Grundrechtsbindung, zum anderen unterschiedlich weit reichenden Subsidiaritätsklauseln zum Schutz der privaten Wirtschaft. Andererseits dürfen Privatisierungen nicht zu einem völligen Rückzug aus der Aufgabenerfüllung führen (Gewährleistungsverantwortung der Kommunen). Im Gegenzug können vormals rein private Dienstleistungen (etwa im Internetbereich) durch den technischen Wandel in den Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge gelangen.

4. Kommunalrecht in Europa

Angesichts sehr unterschiedlicher Kommunalverfassungen war die vom Europarat 1985 verabschiedete „Charta der kommunalen Selbstverwaltung“ ein Meilenstein, um in den Mitgliedstaaten durch die Verpflichtung, mindestens 20 von 30 Strukturelementen kommunaler Autonomie zu erfüllen, ein Mindestmaß homogener Strukturen zu erreichen (darunter die Allzuständigkeit, die Garantie ausreichender Finanzaustattung und die Steuerhoheit). Auf der EU-Ebene stellen Art. 4 Abs. 2 EUV (Achtung der regionalen und lokalen Selbstverwaltung), Art. 5 Abs. 3 EUV (Subsidiaritätsprinzip auch gegenüber Regionen und Kommunen), das kommunale Wahlrecht für EU-Bürger (RL 94/80/EG) und der Schutz der Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge gegenüber den Grundfreiheiten (Art. 106 Abs. 2 AEUV) wichtige Eckpfeiler dar.