Journalismus

1. Technische und politische Voraussetzungen

Technische Innovationen haben die Entwicklung des J. vorangetrieben. Sie hatten Auswirkungen auf Gestaltung, Auflage bzw. Reichweite der Medien, das Tätigkeitsprofil der Journalisten und die Stellung der Medien im Prozess der Meinungsbildung. Innovativ wirkten Produktionstechniken wie die Tiegeldruckpresse (um 1440), die serielle Herstellung von beweglichen Lettern (um 1450), die Zylinderdruckpresse (1811), die Typensetzmaschine (1822), die Papierherstellung aus Holzschliff (1843) und die Rotationspresse (1848). Schnelligkeit der Herstellung, Höhe der Auflage und Verbreitung der Drucke nahmen zu. Das wirkte sich auf thematische Breite und formale Gestaltung des Inhalts aus und schlug sich in geringeren Verkaufspreisen sowie höheren Anzeigeneinnahmen nieder, deren Anteil am Gesamterlös wuchs. Begleitet wurde die Entwicklung von der Erfindung neuer Übertragungstechniken wie der elektromagnetischen Telegraphie (1837), des Fernschreibers (1854), der Telefonie (1877), der Radioübertragung (1906; Rundfunk), der Fernsehsendungen (1920; Fernsehen) sowie der Digitalisierung von Informationen und Vernetzung von Computern zum Internet im 20. Jh. Als Folge der Innovationen entwickelte sich im 19. Jh. das gelegentliche Sammeln und Verbreiten von Nachrichten durch Posthalter und Drucker zu einem eigenständigen Beruf, dem J. Die Erfindungen vergrößerten die erschlossenen Ereignisregionen, verkürzten die Zeitabstände zwischen Geschehen und Berichten und erweiterten den Ereignishorizont der Bevölkerung.

Die publizistische Nutzung der technischen Entwicklungen stieß nahezu überall auf Vorbehalte oder Widerstand. Deren wichtigstes Mittel war die Vorzensur (Zensur). Sie wurde in England 1695 abgeschafft, in Frankreich und den USA 1779, in Deutschland 1848. Allerdings gab es mehrere Rückschläge. Ergänzt wurde der Kampf gegen Pressefreiheit durch inhaltliche Presseanweisungen, durch Konzessions- und Kautionszwang, durch Be- und Verhinderungen des Zeitungsvertriebs und durch das partielle Anzeigenmonopol staatlicher Blätter bis Mitte des 19. Jh. Sein vorläufiges Ende nahm der Kampf gegen Pressefreiheit in Deutschland 1874 durch das Reichspressegesetz, das 1933 durch das Reichsschriftleitergesetz außer Kraft gesetzt, aber nach 1945 zur Grundlage des deutschen Presserechtes wurde. Ein bes. düsteres Kapitel sind in zahlreichen Weltgegenden Gewalttaten gegen Journalisten und Zeitungen. Zunächst ging die Gewalt von den Machthabern aus. So ließ im 18. Jh. der preußische König einen Kölner Journalisten wegen eines positiven Artikels über Österreich verprügeln. Später gab es gewaltsame Ausschreitungen politischer Aktivisten gegen Zeitungen, in der Märzrevolution 1848 gegen eine konservative und während des Krieges zwischen Preußen gegen Österreich 1866 gegen eine liberale Zeitung. Höhepunkte waren Anfang 1919 in Berlin Straßenkämpfe zwischen den Angreifern und Verteidigern von Zeitungen, bei denen etwa 100 Menschen ums Leben kamen. Ein Nachhall sind 1968 die Anschläge auf Einrichtungen des Springer-Verlages in Berlin und München, bei denen zwei Menschen ums Leben kamen, sowie die bundesweite Blockade von Betrieben, in denen die Bild-Zeitung gedruckt wurde. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen wurden weltweit (bis Herbst) 2018 über 50 Journalisten getötet, 157 inhaftiert.

Zentrales Ergebnis der Entwicklungen war die technisch mögliche und betriebswirtschaftlich sinnvolle Entstehung der Massenmedien durch die Steigerung der Auflagen und Reichweiten. Aufgrund ihrer Wirkungsmöglichkeiten wurde die Berichterstattung von einer Begleiterscheinung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehens, das seiner Eigengesetzlichkeit folgte, zu einer funktionalen Voraussetzung für den Erfolg der öffentlichen Akteure in Politik, Wirtschaft, Kultur usw. Diese scheinbar unaufhaltsame Entwicklung wurde durch die Etablierung des Internet und die Personalisierung von Informationen gestoppt und teilweise umgekehrt. Die Ausbreitung der Massenkommunikation schlug in eine partielle Rückkehr zur Individualkommunikation um. Beispiele sind die gezielte Ansprache einzelner Publikumssegmente oder Personen mit interessenfokussierten Nachrichten und Meinungen und die entsprechende Verbreitung von Anzeigen. Diese Veränderung besitzt gravierende Auswirkungen auf die Position der Journalisten im Kommunikationsprozess: Hatten sie bisher das Geschehen aus der Position von scheinbar unbeteiligten und kaum angreifbaren Beobachtern dargestellt und kommentiert, wurden sie nun zu jederzeit von jedermann angreifbaren Akteuren im Zentrum des aktuellen Geschehens.

2. Journalismus als Beruf

Weil der Berufszugang zum J. in fast allen liberalen Demokratien frei ist und sich die Grenzen der journalistischen Tätigkeiten aufgrund der Entwicklung der Medientechniken verschieben, existiert keine verbindliche Definition des Begriffs „Journalist“. In Deutschland bezeichnet er Angehörige eines Berufes, die verschiedene Tätigkeiten ausüben – recherchieren, redigieren, kommentieren usw. In den angelsächsischen Ländern fungiert er als Sammelbegriff für die Angehörigen verschiedener Berufszweige (Reporter, feature writer, leader writer usw.). Eine eigene Berufsgruppe bilden Kolumnisten, die außerhalb der redaktionellen Hierarchie stehen (Vereinigtes Königreich), oder selbständig tätig (USA) sind. Als Journalist gilt in Deutschland, wer dem Anforderungsprofil des Deutschen Journalisten-Verband entspr. und folglich Mitglied eines der Landesverbände werden kann. Entspr. ihren aktuellen, relativ weit gefassten Satzungen sind Journalisten alle hauptberuflich bei Presse, Hörfunk, Fernsehen, Online-Medien u. a. Publikationsmitteln tätige Personen, die an der Ermittlung, Verarbeitung und Verbreitung von Wort- und Bildinformationen beteiligt sind: in Deutschland ca. 40 000 bis 48 000 Personen, die 2005 v. a. für Zeitungen (35 %) und Zeitschriften (20 %), Hörfunk (17 %), Fernsehen (15 %) und Online-Medien (5 %) tätig waren.

Normative Grundlagen des J. sind die allgemeinen Gesetze, das Presserecht und die „Publizistischen Grundsätze“ („Pressecodex“) des Deutschen Presserates und der Presseverbände. In keinem anderen Land wurden so viele zukunftsträchtige Medientechniken entwickelt wie in Deutschland und die Entstehung des Berufs der Journalisten so lange und erbittert bekämpft. Das hat sich in der Schaffung eines speziellen Presserechts niedergeschlagen, welches Journalisten und Medien zahlreiche Privilegien verleiht, darunter der Informationsanspruch der Medien, das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten und das Beschlagnahmeverbot für selbst recherchiertes Material. In Großbritannien und USA existiert kein vergleichbares Presserecht. Die Pressefreiheit wird dort durch die allen Bürgern zustehenden Rechte gesichert. Der Pressecodex enthält in seiner aktuellen Fassung 16 differenzierte Regeln für die Beschaffung, Bearbeitung und Verbreitung aktueller Informationen. Grundlegend sind die „Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit“ (Ziff. 1), die Prüfung des Wahrheitsgehalts von Informationen, deren „Sinn“ nicht „entstellt oder verfälscht werden“ darf (Ziff. 2), die „Richtigstellung“ von „Nachrichten oder Behauptungen“, die sich „nachträglich als falsch erweisen“ (Ziff. 3), das Verbot „unlauterer Methoden“ bei Recherchen (Ziff. 4) sowie die „Persönlichkeitsrechte“ von Protagonisten der Berichterstattung und unbeteiligten Personen (Ziff. 8). Die meisten Beschwerden und Rügen, die sich von 1986 bis 2015 fast verfünffacht haben, betreffen Verstöße gegen die Ziff. 2 und 8. Nicht eingeschlossen sind darin Rügen gegen Online-Publikationen. Die im Anstieg der Rügen manifestierten Verhaltensänderungen eines Teils der Journalisten ist den meisten ihrer Kollegen bewusst.

Der J. weist Merkmale einer Profession auf. Eine Profession im engeren Sinn ist er jedoch nicht. Journalisten teilen ein Gefühl beruflicher Identität und ein gemeinsames Rollenverständnis. Sie sind in Berufsverbänden organisiert und es gibt explizierte Berufsregeln. Sie wenden jedoch keine Spezialkenntnisse an, die auf einer theoretischen Grundlage beruhen, in einer systematischen Ausbildung erworben und in einem Test geprüft wurden, dessen Ergebnis über die Berufszulassung entscheidet. Folglich existiert keine Standesgerichtsbarkeit, die bei schweren Verstößen gegen Berufsregeln ein Berufsverbot aussprechen kann. Im Unterschied zu den Professionen beschränkt sich die berufliche Tätigkeit von Journalisten nicht auf die zweckrationale Anwendung von Mitteln im Diente vorgegebener Ziele, sondern erstreckt sich auch auf die Entscheidung für konkurrierende Ziele. Deshalb sind die Grenzen der im engeren Sinn beruflichen Zuständigkeiten von Journalisten, darunter die Prüfung, Aufbereitung und Verbreitung von Nachrichten, nicht mit ihrer beruflichen Tätigkeit identisch. Anders als bei den Professionen geht das berufliche Handeln von Journalisten über die sachgerechte Anwendung von erlernten Mitteln hinaus. Folglich besitzen sie keine den Professionen vergleichbare Autonomie. Sie sind nicht von Laienkontrolle freigestellt. Aktuelle Bedeutung gewonnen hat dieser Sachverhalt durch die z. T. extreme Kritik von Laien an Journalisten im Internet.

3. Berufsauffassung und politische Einstellung

Die Berufsrollen von Journalisten lassen sich ableiten aus normativen Vorgaben, etwa den Anforderungen zum „Schutz individueller Rechtsgüter“ (Kübler 2008: 372), aus gesellschaftstheoretisch begründeten Zielvorgaben, u. a. ihrer Warn- und Informationsaufgabe, sowie aus der Klassifikation ihres Selbstverständnisses aufgrund von Befragungsergebnissen. In den zuerst genannten Fällen handelt es sich um Rollenerwartungen an Journalisten, im zuletzt genannten Fall um das Rollenverständnis von Journalisten. Journalisten verschiedener Länder haben ein partiell unterschiedliches Rollenverständnis. Eine der Ursachen sind kulturelle Unterschiede, die sich in der Vorstellung niederschlagen, was eine objektive Berichterstattung über kontroverse Themen auszeichnet. Aus Sicht amerikanischer Journalisten kommt es z. B. v. a. auf die Darstellung der Sichtweisen beider Seiten an, aus Sicht deutscher Journalisten auf die Darstellung der Fakten hinter den Stellungnahmen der Kontrahenten. Ziel ist im ersten Fall fairer Wettbewerb, im zweiten Wahrheitssuche. Das Rollenverständnis deutscher Journalisten hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg als Folge des Generationenwechsels geändert und dem angelsächsischen Rollenverständnis angenähert. Das betrifft die Recherchemethoden, die Bedeutung der Neutralität der Berichterstattung und den Persönlichkeitsschutz. Das Rollenverhalten entspr. nur bedingt dem Rollenverständnis. So besitzt in Deutschland zwar das Selbstbild von Journalisten, die sich als neutrale Vermittler sehen, für mehr als zwei Drittel praktische Handlungsrelevanz; das Selbstbild von Journalisten, die sich als Kritiker betrachten, besitzt dagegen nur nach Ansicht von weniger als der Hälfte praktische Handlungsrelevanz. Infolge der Pressekrise sind die Differenzen zwischen Selbstbildern und Handlungsrelevanz in Deutschland größer geworden.

Das Rollenverständnis muss von der politischen Einstellung unterschieden werden. Die Mehrheit der Journalisten befindet sich aufgrund ihrer politischen Einstellung in allen liberalen Demokratien links von der Mehrheit der Bevölkerung. In Deutschland äußerten 2005 66 % eine Neigung zu GRÜNE, SPD oder PDS. Ihnen standen 15 % mit Präferenzen für CDU/CSU oder FDP gegenüber. Gründe des Ungleichgewichts sind v. a. das Übergewicht von eher links orientierten Berufsbewerbern und die kooptationsähnliche Einstellungspraxis der Medien. Hinzu kommt die Anpassung von Berufsanfängern an die Sichtweisen der Kollegen. Politische Einstellungen von Journalisten besitzen in allen untersuchten Ländern signifikanten Einfluss auf ihr Urteil über den Nachrichtenwert von Meldungen über Konflikte: Je intensiver sie eine bestimmte Position vertreten, desto eindeutiger bevorzugen sie Meldungen, die ihre Sicht bestätigen. Der Zusammenhang zwischen Konfliktsicht und Konfliktberichterstattung ist theoretisch und praktisch bedeutsam. Üblicherweise wird das Verhältnis von Ereignissen, Medienberichten und Medienwirkungen als Kausalkette betrachtet: Ereignisse sind die Ursachen von Berichten, die Berichte die Ursache von Wirkungen. Durch die Konzentration der Berichterstattung auf Informationen, die die Sichtweise von Journalisten stützen, werden Berichte zu Mitteln im Dienste von Zwecken. Die erwähnte Ursache-Wirkungs-Beziehung wird dadurch zu einer Zweck-Mittel-Beziehung. Zugleich ändert sich die Funktion der Journalisten. Aus Chronisten des Geschehens werden sie zu Akteuren, die durch ihre Berichterstattung und deren Wirkung gezielt in das Geschehen eingreifen.

4. Journalisten und Protagonisten der Berichterstattung

Das Rollenverständnis von Journalisten unterscheidet sich von den Rollenerwartungen gesellschaftlicher Akteure: Journalisten lehnen z. B. die Forderung nach Anerkennung der Autorität von Experten bzw. die Vorlage ihrer Berichte über Gespräche mit Wissenschaftlern zum Gegenlesen ab, Wissenschaftler und Techniker erwarten beides von ihnen. Journalisten machen sich die Forderungen, die Medien sollten „vor allem über wissenschaftliche Risikoabschätzungen berichten“ und Risiken „nüchtern und sachlich“ darstellen, signifikant weniger zu Eigen als Wissenschaftler (Projektgruppe Risikokommunikation 1994: 32). Auch die Realitätssicht von Journalisten unterscheidet sich von jener anderer Akteure: Journalisten sehen häufiger als Vertreter von Verbänden in den gleichen Regionen aktuelle Probleme in Politik und Wirtschaft, die Vertreter der Verbände häufiger als Journalisten im Sozialbereich. Journalisten halten Missstände häufiger für Folgen von Eigennutz, die Vertreter der Verbände häufiger als Folge von Fehlentwicklungen und Mangelzuständen. Die Unterschiede zwischen Journalisten und anderen Akteuren erstrecken sich auch auf die Kriterien für Objektivität. Für Journalisten hängt Objektivität stärker als für Wissenschaftler davon ab, dass Aussagen anderer sowie ihre eigene Darstellung „der Realität“ entsprechen und dass die „Fakten für sich selbst“ sprechen. Den Kern ihrer Vorstellung bildet der Glaube an die Erkennbarkeit einer „Sache an sich“. Für Wissenschaftler hängt Objektivität stärker als für Journalisten davon ab, dass man sich auf das beschränkt „was man prüfen und belegen kann“ und sich „konsequent an eine systematische Vorgehensweise hält“. Den Kern ihrer Vorstellung bildet das Vertrauen in Verfahrensmäßigkeit. Eine Folge dieser Divergenzen ist die Betonung der Faktizität von Informationen durch Journalisten bzw. die Betonung ihrer Ungewissheit durch Wissenschaftler.

Die Realitätsdarstellung von Journalisten unterscheidet sich auch dann von den Wahrnehmungen der jeweiligen Akteure, wenn sie sich erfolgreich um Objektivität bemühen: Beide Seiten haben unterschiedliche Vorstellungen vom aktuellen Geschehen, von den Anforderung an eine objektive Erkenntnis und Darstellung kontroverser Themen sowie den Umgang mit ungesicherten Informationen. Dieser Sachverhalt besitzt bedeutsame Konsequenzen. Die aktuelle Berichterstattung konfrontiert v. a. bei Kontroversen die Akteure mit Darstellungen des Geschehens, die nicht in allen Aspekten ihren eigenen Wahrnehmungen und ihren Anforderungen an seine sachgemäße Wiedergabe entsprechen. Und die Rezipienten der Berichterstattung erhalten ein Bild vom aktuellen Geschehen, das sich von den Wahrnehmungen der daran Beteiligten deutlich unterscheidet. Hierbei handelt es sich nicht immer um Mängel, sondern um unabweisbare Folgen der Rollen- und Funktionsdifferenzierungen in komplexen Gesellschaften.