Internationales Privatrecht

1. Internationales Privatrecht als Teil des Kollisionsrechts

Das Internationale Privatrecht (I. P.) ist ein Teil des Kollisionsrechts. Kollisionsnormen suchen unter mehreren in Frage kommenden Sachnormen (so lautet das Antonym) die anwendbaren aus. So regeln intertemporale Kollisionsnormen bspw. in der Form von Übergangsvorschriften, auf welche Fälle noch das alte und auf welche schon das neue Recht anwendbar ist.

Internationale Kollisionsnormen tragen dem Umstand Rechnung, dass viele rechtlich zu beurteilende Sachverhalte Verbindungen zu mehreren nationalen Rechtsordnungen aufweisen. Sie regeln, welche dieser nationalen Rechtsvorschriften auf welche Fragen anwendbar sind. Wenn z. B. nach § 3 AufenthG Ausländer in Deutschland „einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen“ müssen, beruft diese internationale öffentlich-rechtliche Kollisionsnorm das Passrecht des Herkunftslandes für die Fragen, ob das vorgelegte Dokument gültig ist und z. B. auch für dort eingetragene minderjährige Kinder als Pass gilt.

Diese deutsche Anwendung ausländischen Passrechts darf nicht verwechselt werden mit Fragen der (fehlenden) Zuständigkeit deutscher Behörden für die Ausstellung eines solchen Passes. Zum I.n P. gibt es dafür ein eigenes kollisionsrechtliches Nachbargebiet, das IZVR, das insb. die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Verfahren mit Auslandsverbindung sowie die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile regelt. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis werden beide Gebiete zusammengefasst als conflict of laws.

Während sich im öffentlichen Recht drei große Entwürfe für ein internationales Verwaltungsrecht nicht haben durchsetzen können (Neumeyer [1936]; Niboyet [1949]; Biscottini [1966]) und gesetzliche Kollisionsnormen verstreut sowie fragmentiert sind, ist das I. P. als eigenständiger Rechtsbereich schon seit langem anerkannt. Beim Inkrafttreten des BGB zum 1.1.1900 war das Grundgerüst für ein solches I. P., wenn auch lückenhaft, im Einführungsgesetz enthalten. Im EGBGB finden sich bis heute wesentliche Normen des deutschen I.n P.s.

Anders als der Name vermuten lässt, ist I. P. grundsätzlich nationales Recht. Wichtige Bereiche des I.n P.s sind aber mittlerweile in der EU einheitlich geregelt, insb. durch die Rom-Verordnungen I-IV (Vertragsrecht, außervertragliche Schuldverhältnisse, Ehescheidung und Trennung, Erbrecht), im IZVR durch die Brüssel-Verordnungen Ia und IIa (Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen sowie in Ehe- und Kindschaftssachen). Zudem gibt es eine ganze Reihe völkerrechtlicher Verträge, insb. die von der Haager Konferenz für I. P. entwickelten Übereinkommen und Protokolle, die nationales I. P. und IZVR zu vereinheitlichen suchen.

2. Kollisionsnormen und Anknüpfungsmerkmale

Bei der Auswahl eines anwendbaren Rechts oder der Begründung einer internationalen Zuständigkeit verwenden Kollisionsnormen Anknüpfungsmerkmale, um einen bestimmten Aspekt des rechtlich zu beurteilenden Sachverhalts einer bestimmten Rechtsordnung zuzuweisen.

Die am häufigsten verwendeten Anknüpfungsmerkmale sind bei natürlichen Personen ihre Staatsangehörigkeit oder ihr Wohnort (s. u.). Bspw. bestimmt Art. 7 Abs. 1 EGBGB: „Die Rechtsfähigkeit und die Geschäftsfähigkeit einer Person unterliegen dem Recht des Staates, dem die Person angehört.“ Und das Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht beruft in Art. 3 grundsätzlich „das Recht des Staates […], in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ Beides sind sogenannte allseitige Kollisionsnormen, im Gegensatz zu einseitigen Kollisionsnormen, die nur ein ausdrücklich genanntes (meist das eigene) Recht berufen. Nationale Zuständigkeitsnormen sind grundsätzlich einseitige Kollisionsnormen, da sie nur die Zuständigkeit eigener Behörden oder Gerichte regeln können und wollen.

Rechtsordnungen des anglo-amerikanischen Rechtskreises bevorzugen als Anknüpfungsmerkmal für natürliche Personen traditionell das sogenannte domicile, eine stark verfestigte Form des Aufenthaltsorts. Das erwirbt man bei der Geburt vom Vater bzw. der Mutter als domicile of origin. Dieses wird bei einem freiwilligem und auf unbegrenzte Dauer angelegten Wechsel in ein bestimmtes anderes Land für diese Zeit von einem domicile of choice verdrängt; sobald eine Voraussetzung entfällt, gilt wieder das domicile of origin. So besitzt jede Person zu jedem Zeitpunkt genau ein domicile, während die Staatsangehörigkeits-Anknüpfung bei Staatenlosen auf den gewöhnlichen Aufenthalt ausweichen und bei Mehrstaatlern eine weitere Auswahl treffen muss.

Ein verbreitetes Anknüpfungsmerkmal ist der gewöhnliche Aufenthalt einer Person. Eine untergeordnete Rolle spielt der Wohnsitz nach deutschem Recht, der zivilrechtliche (Definition in § 7 BGB) und öffentlich-rechtliche Komponenten (Meldepflicht) in sich vereinigt, kollisionsrechtlich aber den Nachteil hat, dass man mehrere Wohnsitze haben kann (§ 7 Abs. 2 BGB). Verwendet wird der Wohnsitz im vereinheitlichten europäischen Zuständigkeitsrecht, Art. 3 Brüssel-Ia-VO. Nach Art. 59 Abs. 1 Brüssel-I-VO entscheidet dabei jedes Gericht nach seinem eigenen materiellen Recht, ob eine Person im Hoheitsgebiet des Gerichtsstaates einen Wohnsitz hat.

Anknüpfungsmerkmale für juristische Personen stellen auf den Gründungs- oder Registerort (so klassisch Länder des anglo-amerikanischen Rechtskreises für Gesellschaften), den Ort des Geschäftssitzes (so klassisch das deutsche Recht), der geschäftlichen Tätigkeit oder ggf. einer Zweigstelle ab. Unter dem Einfluss der EuGH-Rechtsprechung (u. a. 30.9.2003, C-167/01, Inspire Art) musste die deutsche aber zulassen, dass z. B. in Großbritannien registrierte Unternehmen in Deutschland ohne Umwandlung oder Beachtung deutscher Vorschriften zur Mindestkapital-Ausstattung operieren können.

Anknüpfungsmerkmale verorten einen Fall nicht zwangsläufig bei einer der beteiligten Parteien. Man kann auch bei Gegenständen anknüpfen, z. B. dem Ort, an dem eine unbewegliche oder auch bewegliche Sache belegen ist (Art. 43 EGBGB). Schließlich gibt es Kollisionsnormen, die an einen Ort anknüpfen, an dem bestimmte Handlungen vorgenommen worden oder vorzunehmen sind, wie den Erfüllungsort im internationalen Vertragsrecht (Zuständigkeit nach Art. 7 Abs. 1 a Brüssel-Ia-VO), oder an dem bestimmte Ereignisse eintreten, wie das schadensbegründende Ereignis im internationalen Deliktsrecht (Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO).

3. Rechtswahl und Parteiautonomie

Kollisionsnormen können zwingend oder dispositiv sein. Die meisten Kollisionsnormen im internationalen öffentlichen Recht und im internationalen Strafrecht sind zwingend. Aber auch im I.n P. und IZVR sind viele kollisionsrechtliche Vorschriften nicht abdingbar.

Im internationalen Vertragsrecht ist dagegen das anwendbare Recht frei wählbar (Art. 3 Rom-I-VO), mit gewissen Einschränkungen insb. zum Schutz von Verbrauchern (Art. 6) und Arbeitnehmern (Art. 8). Mit ähnlichen, teilweise weitergehenden Beschränkungen kann auch der Gerichtsstand für zivilrechtlichen Streitigkeiten von den Parteien frei gewählt werden (Art. 25 Brüssel-Ia-VO). Nach längerer Diskussion hat der Gesetzgeber die Rechtswahl für Teilaspekte des Familien- und Erbrechts zugelassen (z. B. eingeschränkte Wahl des Güterstandsrechts nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB). Eine Wahl des Gerichtsstands durch die Parteien wird in familienrechtlichen Fällen nur sehr eingeschränkt zugelassen (Art. 12 Brüssel-IIa-Verordnung).

4. Anknüpfungsgegenstand, Aufspaltung und Qualifikation

Die meisten internationalen Sachverhalte werden nicht von einer, sondern von mehreren Kollisionsnormen erfasst. In einer internationalen Vertragsstreitigkeit kann bspw. das auf den Vertrag selbst anwendbare Recht (das Vertragsstatut) ergänzt werden durch großzügigere Formvorschriften nach einem anderen Recht (Formstatut), nach einem dritten Recht (Vollmachtsstatut) zu beurteilende Vollmacht eines Vertreters, nach dem Lageort (lex rei sitae) zu beurteilenden dinglichen Rechte an der verkauften Sache (Sachstatut), nach weiteren Rechtsordnungen zu beurteilende Geschäftsfähigkeit der Vertragsparteien und grundsätzlich nach dem Recht des angerufenen Forums (lex fori) zu bestimmenden prozessualen Vorschriften. Dabei verbindet jede anzuwendende Kollisionsnorm einen Anknüpfungsgegenstand (z. B. „Vertrag“) mit einem Anknüpfungsmerkmal (z. B. „gewöhnlicher Aufenthalt“ derjenigen Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung erbringt). Wenn die verschiedenen Kollisionsnormen unterschiedliche Anknüpfungsmerkmale verwenden, kommt es leicht zu einer Aufspaltung (dépeçage) des anwendbaren Rechts.

Bei einer Aufspaltung stellt sich oft die Frage, ob Sachnormen des berufenen Rechts vom Anknüpfungsgegenstand erfasst sind. Bspw. kann die Rückabwicklung eines gescheiterten Vertrags nach Vertragsrecht (so im deutschen materiellen Recht) oder nach Bereicherungsrecht (so im englischen materiellen Recht) beurteilt werden. Oder die Abfindung eines überlebenden Ehegatten wird rein erbrechtlich (so im österreichischen Recht), rein güterrechtlich (so im schwedischen Recht) oder güter- und erbrechtlich gemischt vorgenommen (so im deutschen Recht). Derartige Probleme löst man im I.n P. über die sogenannte Qualifikation (englisch: classification) der für eine Anwendung in Betracht kommenden Vorschriften.

Nach langer Diskussion setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass man den Anknüpfungsgegenstand nicht ausschließlich nach den Vorstellungen des materiellen Rechts am Forum (lex fori) qualifizieren kann, und auch nicht ausschließlich nach den Vorstellungen des anwendbaren materiellen Rechts (lex causae). „Classification in private international law ‚should not be constrained by particular notions or distinctions of the domestic law of the lex fori, or that of the competing systems of law, which may have no counterpart in the other’s system‘ […] and it should […] be ‚undertaken in a broad internationalist spirit‘“ (Lord Mance in Cox v Ergo [2014] UKSC 22, unter Verweis auf Macmillan Inc v Bishopsgate Investment Trust Plc [No 3] [1996] 1 WLR 387, 407C, per Auld LJ, sowie seine eigene Entscheidung in Raiffeisen Zentralbank Österreich AG v Five Star Trading LLC [2001] QB 825, 26–27). Das Kollisionsrecht bestimmt also seinen Anwendungsbereich selbst. Eher selten geschieht das ausdrücklich, wie in Art. 12 Rom-I-VO, das die Rückabwicklung eines gescheiterten oder nichtigen Vertrags dem Vertragsstatut zuschlägt.

5. Vorfragen und separate Anknüpfungen

Die soeben beschriebene Aufspaltung eines Sachverhalts auf verschiedene Rechtsordnungen wie bspw. ein Vertragsstatut und ein abweichendes Sachenrechtsstatut kann durch eine anzuwendende Sachnorm ausgelöst werden, die unter den Tatbestandsmerkmalen einer z. B. kaufrechlichen Norm wie § 433 BGB ein außervertragliches Rechtverhältnis anführt wie „Eigentum an der Sache“. Dieses Rechtsverhältnis ist nicht nach dem Recht zu beurteilen, dem diese Sachnorm entstammt (der lex causae). Vielmehr ist das darauf anwendbare Recht separat zu bestimmen. So wird die Frage, ob der Käufer Eigentümer geworden ist, zur sachenrechtlichen Vorfrage (englisch: incidental question, französisch: question préalable) innerhalb der Hauptfrage, ob der Verkäufer den Vertrag ordentlich erfüllt hat. Grundsätzlich sind Vorfragen also separat anzuknüpfen; die Grenzen sind allerdings umstritten.

Ähnliche Fragen können auch innerhalb einer Kollisionsnorm entstehen. Wenn die Geschäftsfähigkeit einer natürlichen Person nach dem Recht ihrer Staatsangehörigkeit bestimmt werden soll, ist die Frage, welche Staatsangehörigkeit diese Person besitzt, nicht nach dem Vertragsstatut oder dem Recht des Forums zu beurteilen, sondern separat nach dem Recht jeder konkret in Betracht kommenden Staatsangehörigkeit.

6. Eingriffsnormen

Eine der schillerndsten Diskussionen im I.n P. betrifft die sogenannten Eingriffsnormen (französisch: lois de police). Sie sind für das internationale Vertragsrecht mittlerweile geregelt in Art. 9 Rom-I-VO (overriding mandatory provisions). Demzufolge ist eine Eingriffsnorm „eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“.

Solche Normen können insb. einen Vertrag unwirksam werden lassen, der nach dem Vertragsstatut wirksam wäre. Manche derartige Normen kommen durch eigene Kollisionsnormen zur Anwendung, wie z. B. §§ 2–4 KrWaffKontrG, das auf Einfuhr in, Durchfuhr durch oder Ausfuhr aus der BRD oder auf die Beförderung von Kriegswaffen auf Schiffen unter deutscher Flagge abstellt. Ähnliche Vorschriften des Forums ohne eigene Kollisionsnorm können über Art. 9 Abs. 1 Rom-I-VO auf den Vertrag einwirken.

Bes. umstritten ist die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen. Dabei geht es oft um Embargo-Beschränkungen, wirtschaftslenkende Regeln oder Vorschriften nationalen Kulturgüterschutzes. Die können nach Art. 9 Abs. 3 Rom-I-VO berücksichtigt werden, wenn sie am Erfüllungsort für eine vertragliche Verpflichtung gelten.

7. Ordre public

Als Institution des I.n P.s war und ist dagegen der ordre public (englisch: public policy) als Grenze für die Anwendung ausländischen Rechts unumstritten. „Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist“ (Art. 6 EGBGB).

Der ordre public wirkt als Notbremse, wenn man z. B. mit der Anwendung von Eingriffsnormen des Forums nicht weiterkommt, aber er schaut immer auf ein drohendes ungewollte Ergebnis, nicht auf den Weg dorthin. So sind Vorschriften islamischer Rechte (Scharia), denen zufolge dem Vater das alleinige Sorgerecht für ein 13-jähriges Kind zusteht, zwar mit dem GG nicht vereinbar, aber den ordre public darf ein deutsches Gericht hier nur heranziehen, wenn im konkreten Fall das Ergebnis gegen das Kindeswohl verstößt. Im IZVR kann man mit dem ordre public sogar im Bereich der Brüssel-Ia-VO (Art. 45) in Extremfällen die Vollstreckung ausländische Urteile versagen, wie in BGH 26.8.2009, BGHZ 182, 188, bei dem ein polnisches Unterhaltsurteil die bestrittene Vaterschaft des Beklagten ausschließlich auf die Zeugenaussage der Großmutter gestützt hatte, die Mutter habe ihr mitgeteilt, der Beklagte sei der Vater.

Mit dem ordre public kann keine störende inländische Norm überwunden werden. Trägt sie im Zusammenspiel mit einer ausländischen Norm zu einem als anstößig empfundenen Ergebnis bei, hilft die Anpassung.

8. Anpassung

Von Anpassung oder auch Angleichung (französisch: adaptation; nicht bekannt im common law), spricht man, wenn an sich anwendbare Rechtsnormen modifiziert oder ignoriert werden, um damit für einen internationalen Sachverhalt ein Ergebnis zu vermeiden, das von keiner anwendbaren Rechtsnorm so gewollt wird. Solche Situationen werden durch das Zusammenspiel von Rechtsnormen aus unterschiedlichen Rechtssystemen verursacht, die nicht oder schlecht aufeinander abgestimmt sind. Ein Beispiel sind negative internationale Kompetenzkonflikte, in denen zwei mögliche Gerichte ihre Zuständigkeit ablehnen, weil jedes davon ausgeht, das andere sei zuständig (OLG Düsseldorf 17.11.1995). Art. 31 Rom-IV-VO enthält eine Regel zur Anpassung dinglicher Rechte in internationalen Erbrechtsfällen.