Familienpolitik

  1. I. Grundlagen
  2. II. Von Leitbildern zu Realitäten
  3. III. Entwicklung der Familienförderung

I. Grundlagen

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1. Begriff, Begründung und Motive

Unter F. sind alle Maßnahmen zu verstehen, mit denen der Staat das Ziel verfolgt, Familien zu fördern oder normativ zu gestalten und die einzelnen Familienmitglieder bei der Erfüllung familialer Aufgaben zu unterstützen. Die Begründung für staatliche Eingriffe in einen eigentlich überaus privaten Bereich ergibt sich aus der Bedeutung der Familie für die ganze Gesellschaft. Familien erfüllen Funktionen wie die materielle Versorgung ihrer Mitglieder, die Erziehung von Kindern und die Pflege älterer Familienangehöriger, von denen die Gesellschaft als Ganzes profitiert. Die Begründung für F. ist somit das Interesse des Staates an diesen Leistungen.

Mit Franz-Xaver Kaufmann lassen sich sieben Motive familienpolitischen Handelns unterscheiden. Danach können Staaten F. mit einem institutionellen Motiv betreiben, um die Familie als Wert an sich zu fördern. Ein bevölkerungspolitisches Motiv herrscht, wo Staaten explizit auf Entwicklung und Struktur der Bevölkerung einwirken. Dabei kann eine Begrenzung oder eine Erhöhung des Bevölkerungswachstums angestrebt werden. Mit einem eugenischen Motiv (Eugenik), das in der ersten Hälfte des 20. Jh. weit verbreitet war, suchten Staaten die Erbgesundheit von Familien zu „verbessern“. Wirtschaftspolitische Motive sehen in der Familie eine Institution, die der Förderung von Humankapital dient, etwa unter dem Aspekt der Erzeugung von Arbeitskräften. An Bedeutung gewonnen hat insb. das sozialpolitische Motiv, das Benachteiligungen der Familien abzubauen und Familienarmut zu bekämpfen sucht. Um den Abbau von Benachteiligungen der Frauen geht es dem geschlechterpolitischen Motiv. Schließlich können die Bedürfnisse und Rechte von Kindern im Zentrum stehen, wenn F. mit einem Kinderwohlfahrtsmotiv begründet wird. Diese Motive können je nach aktueller Problemlage unterschiedliche Gewichtung erfahren.

2. Ziele, Aufgaben und Politikbereiche

Das GG der BRD stellt Ehe und Familie mit Art. 6 Abs. 1 GG unter den „besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. Dieser Schutzauftrag gibt der F. eine dreifache Zielsetzung: Zum ersten wird der Staat verpflichtet, in seiner Rechtsordnung die Institutionen Ehe und Familie als Keimzelle jeder staatlichen Gemeinschaft zu schützen und sie vor Beeinträchtigungen zu bewahren. Zum zweiten soll die Familie durch materielle und sonstige Unterstützung in die Lage versetzt werden, ihre gesellschaftlichen Funktionen zu erfüllen. Drittens aber muss der freiheitlich-demokratische Staat die Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger respektieren und die Familie und ihre Mitglieder auch in ihrer Selbstbestimmung schützen.

Aus diesen Zielen der F. leiten sich ganz unterschiedliche konkrete Aufgaben ab. Im „Siebten Familienbericht“ der Bundesregierung wird zwischen Familienlastenausgleich und Familienleistungsausgleich unterschieden: „Familienpolitische Leistungen, die aus dem Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit und der Lebensstandardsicherung abgeleitet sind, zielen darauf ab, bestimmte Belastungen der Eltern zu kompensieren, die durch die Geburt und Erziehung der Kinder entstehen. Diese Instrumente lassen sich unter dem Oberbegriff des Familienlastenausgleichs zusammenfassen. Daneben ist es eine weitere Aufgabe der staatlichen Familienpolitik, jene Leistungen der Erziehung, Versorgung und Bildung der Kinder zu kompensieren, die die Familien für die Gesellschaft erbringen, die aber nicht über den Markt abgegolten werden. Diese Leistungen fasst man als Familienleistungsausgleich zusammen“ (BMFSFJ 2006: 56).

F. ist demnach sowohl Gegenstand von Sozial- und Wirtschaftspolitik, als auch von Bildungs-, Struktur- oder Rechtspolitik. So muss der Staat im Rahmen seiner Sozialpolitik dafür sorgen, dass Familien hinsichtlich ihrer Einkommens- und Vermögenslage ein angemessener Ausgleich für ihre Leistungen gewährt wird. Die mit der Betreuung, Erziehung und Ausbildung von Kindern verbundenen ökonomischen Aufwendungen müssen im Interesse sozialer Gerechtigkeit zumindest partiell ausgeglichen werden. Die steuerliche Freistellung des Mindestbedarfs oder auch die Gewährung von Kindergeld sollen diesem Ziel dienen. Auch die finanzielle Anerkennung der durch die familieninterne Betreuung entstehenden Kosten (so z. B. das bis 2007 gezahlte Erziehungsgeld) und die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung sind eine sozialpolitische Aufgabe.

Stärker in den Bereich Wirtschaftspolitik gehören familienpolitische Maßnahmen, die eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit ermöglichen sollen. Hierzu gehört z. B. die Gestaltung einer familienfreundlichen Arbeitswelt durch Flexibilisierung der Arbeitsorte und Arbeitszeiten, die Sicherung eines außerfamilialen Betreuungsangebotes usw.

Bildungspolitisch muss der Staat dafür sorgen, dass Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt werden, v. a. in Kindergärten und Schulen. Auch die erwachsenen Familienmitglieder haben Anspruch auf öffentliche Bildungs- und Beratungseinrichtungen. Von Relevanz ist außerdem die Förderung des familiengerechten Wohnungsbaus. Durch strukturpolitische Maßnahmen soll der Staat z. B. auf eine möglichst flächendeckende Einrichtung von Kindertagesstätten hinwirken. Rechtspolitischer Gestaltung unterliegen z. B. das Unterhaltsrecht oder das Adoptionsrecht.

Die Liste familienpolitisch relevanter Politikbereiche ließe sich weiter fortsetzen. F. erweist sich somit keineswegs als geschlossenes und einheitliches Politikfeld. Sie gestaltet sich vielmehr als Querschnittsaufgabe, an der viele Akteure beteiligt sind. Bund, Länder und Kommunen haben eigene familienpolitische Verantwortung. Auch nichtstaatliche Akteure wie Tarifpartner, Familienverbände und Kirchen sind von Bedeutung. Nicht zu unterschätzen ist zudem die Rolle von Gerichten, insb. des BVerfG. Dessen Entscheidungen, z. B. zur Berücksichtigung von Erziehungsleistungen im Rahmen von Sozialversicherungen (1992), zum Steuerfreibetrag für das Existenzminimum von Kindern (1998) oder zur steuerlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften (2013), trugen maßgeblich zur Gestaltung der F. bei.

3. Herausforderungen und Probleme

In Deutschland wurde noch nie so viel in F. investiert wie im 21. Jh. Insgesamt 156 familienpolitische Maßnahmen listete die Bundesregierung in einer Bestandsaufnahme des Jahres 2012 auf. Die Summe aller ehe- und familienbezogenen Leistungen umfasste mehr als 200 Mrd. Euro pro Jahr. Familienförderung im engeren Sinn, also z. B. Kindergeld, Kinderfreibeträge und Realtransfers wie die Finanzierung von Kinderbetreuungseinrichtungen, betrug 55,4 Mrd. Euro.

Trotz dieser gewaltigen Investitionen werden Defizite beklagt. Je nach Interessenlage werden dabei höchst unterschiedliche Aspekte kritisiert. Die einen sehen in der Tatsache, dass es bislang nicht gelungen ist, die Geburtenrate signifikant zu erhöhen, ein Scheitern der F. Andere bemängeln, dass sich die wirtschaftliche Lage von Familien nicht entscheidend verbessert habe. Wieder andere meinen, es werde nicht genug für die Vereinbarkeit von Elternschaft und Erwerbstätigkeit getan. Nicht wenige beklagen die vielerorts zu beobachtende Kinderunfreundlichkeit der Gesellschaft.

Die offensichtlichen Defizite der F. haben viele Ursachen. Ein Hauptgrund ist der Charakter von F. selbst als „Querschnittsdisziplin“ (Lampert 2008: 350). Die Verwirklichung ihrer Ziele ist abhängig vom Einsatz sozial-, wirtschafts-, bildungs- und rechtspolitischer Instrumente und vom Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden. Hinzu kommt die Rechtsprechung der Gerichte. Diese strukturelle Zersplitterung verhindert, dass F. als einheitliches Konzept gestaltet werden kann.

Auch die unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der politischen Akteure erschweren Stringenz. CDU und noch stärker CSU verfolgen eher eine traditionelle Institutionenpolitik, während SPD und Bündnis 90/Die Grünen von jeher eine F. favorisierten, durch die sie individuelle Familienmitglieder (Frauen, Kinder) verstärkt zu fördern suchten. Zwar haben sich die familienpolitischen Grundsätze der Bundestagsparteien seit den 1990er Jahren angenähert. Dennoch war bislang noch mit jedem Regierungswechsel auch eine Korrektur der F. verbunden. Zugleich besteht die Gefahr, dass die politischen Parteien im Interesse der Stimmenmaximierung verstärkt Rücksicht auf die steigende Zahl kinderloser Wähler nehmen und F. vernachlässigen.

Das eigentliche Problem ist, dass dieses Politikfeld kaum zu evaluieren ist. Die Effekte familienpolitischer Maßnahmen lassen sich nur schwer bewerten. Es reicht sicher nicht aus, F. nach der Entwicklung der Fertilität oder der Zahl berufstätiger Mütter zu bemessen. Die psychisch-emotionalen, sozialen und gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Familie lassen sich ohnehin nicht quantifizieren.

II. Von Leitbildern zu Realitäten

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Seit Beginn des 21. Jh. diskutiert Deutschland mit erhöhter Intensität über F. Es geht dabei um Leistungspotenziale und -grenzen von Eltern ebenso wie um den Schutz und die frühe Förderung und Bildung der Kinder (Früherziehung). Es geht um die Frage, wie die einst von der Sachverständigenkommission des Fünften Familienberichts beklagte „strukturelle Rücksichtslosigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber den Familien“ (Bundesministerium für Familie und Senioren 1994: 21) gelindert werden könnte und auch darum, wie die Lebensform Familie unter den Rahmenbedingungen einer globalisierten Gesellschaft mit ihrem Imperativ des „flexiblen Menschen“ (Sennett 2000) überhaupt ermöglicht werden kann.

Weniger als früher kreisen die Debatten um vermeintlich „richtige“ Familienleitbilder. Stattdessen sind v. a. Versuche einer Ausrichtung der F. an einer pluralisierten Familienwirklichkeit erkennbar. Vielfalt und tägliche Herausforderungen der Herstellung von Familienleben i. S. v. „Doing Family“ (Jurczyk/Lange/Thiessen 2014) sind der Referenzrahmen, von dem aus nach Potenzialen von Familie ebenso gefragt wird wie nach der dafür benötigten Unterstützung. In Anbetracht zunehmend pluraler Formen von Elternschaft mit einem Rückgang des Anteils verheirateter Eltern, einer ansteigenden Zahl Alleinerziehender sowie vermehrter Varianten sozialer Elternschaft (z. B. Stiefeltern, Adoptiveltern, Pflegefamilien) entwickelt sich ein eher offenes Familienverständnis, das der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler im Jahr 2006 lakonisch zusammenfasste: „[W]o Kinder sind, da ist Familie“ (Köhler 2006: 2). Darüber hinaus sind Mütter und Väter in einer alternden Gesellschaft bei der Unterstützung, Versorgung und Pflege der eigenen Eltern gefordert, womit Anforderungen einer „familial bedingte[n]“ (BMFSFJ 2012: 36) Fürsorge auch im Generationenkontext zu betrachten sind.

Die Herausforderung für Staat und Zivilgesellschaft liegt darin, diesen Realitäten gerecht zu werden, also Familien durch Angebote und Leistungen zu entlasten und sie zugleich als private Form der Vergemeinschaftung in ihrem sozialen Handeln wirkungsvoll zu unterstützen. In diesem Sinne müssen Familien ihre auch verfassungsrechtlich geschützte vorrangige Zuständigkeit für das Wohl ihrer Kinder behalten und zugleich dazu befähigt bzw. darin unterstützt werden, den damit verbundenen Aufgaben gerecht zu werden. Darin liegt eine wesentliche Konstante, der F. trotz einiger Veränderungen folgt.

Das Festhalten an dieser elementaren Zuständigkeit der Familie und ihre gleichzeitige intensivere öffentliche Unterstützung einschließlich verstärkter Übernahme von öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen der nachfolgenden Generation geht mit vielfältigen monetären, rechtlichen sowie infrastrukturellen Maßnahmen und Regelungen einher, aber auch mit erhöhten Erwartungen an „gute“ Elternschaft. Dabei lassen sich die Angebote der F. danach unterscheiden, ob es sich um familienunterstützende Angebote, familienergänzende Hilfen oder familienersetzende Maßnahmen handelt.

1. Familienunterstützende Angebote

Jahrzehntelang setzte die bundesdeutsche F. überwiegend auf finanzielle Leistungen. Familien wurden seit den 1950er Jahren v. a. mittels Kindergeld und Ehegattensplitting gefördert. Dabei wurde Familie v. a. als ein sich selbst regulierendes Beziehungsnetzwerk verstanden, das geschützt und durch politische Interventionen möglichst wenig „irritiert“ werden sollte. Infolgedessen gab der Staat im Jahr 2021 z. B. knapp 48 Mrd. Euro für Kindergeld aus, während sich die Kosten des Ehegattensplittings auf rund 22 Mrd. Euro beliefen. Demgegenüber addierten sich die Ausgaben für Kindertagesbetreuung, der wichtigsten familienbezogenen Infrastrukturleistung, zuletzt im Jahr 2020 auf 40 Mrd. Euro, Tendenz weiter steigend.

Einvernehmen besteht inzwischen darin, dass Familien – wie der Siebte Familienbericht formulierte – nicht nur Geld, sondern auch Zeit und Infrastruktur benötigen (z. B. haushaltsnahe Dienstleistungen, Kinderbetreuungsangebote) und dass zugleich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert werden muss. Entgegen dem allgemeinen Eindruck, dass seit der Jahrhundertwende v. a. die Infrastruktur verbessert worden sei, wurden auch in jüngerer Zeit monetäre Leistungen ausgeweitet, sei es durch deutliche Erhöhungen des Kindergeldes, Einführung eines Elterngeldes im ersten Lebensjahr des Kindes und Einführung eines Kinderzuschlags sowie durch das ab 2013 gewährte und 2015 vom BVerfG als bundesgesetzliche (nicht als landesgesetzliche) Regelung wieder verworfene Betreuungsgeld.

Nicht-monetäre Formen unterstützender Angebote wurden im Vergleich dazu lange Zeit unterschätzt. Dazu zählen etwa Leistungen der Familienberatung und der Familienbildung, der Ausbau von Familienzentren, die frühen Hilfen und die Angebote ambulanter familienunterstützender Hilfen wie haushaltsnahe Dienstleistungen oder sozialpädagogische Familienhilfen. All diese Angebote versuchen, die Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Familie oder einzelner Familienmitglieder zu erhalten oder zu verbessern.

2. Familienergänzende Hilfen

Familienergänzende Hilfen sind Bestandteil staatlicher oder staatlich geförderter Infrastrukturpolitik. Sie umfassen soziale Dienstleistungen, die von öffentlichen oder zivilgesellschaftlichen (selten von privatgewerblichen) Anbietern erbracht werden. Der Ausbau einer entsprechenden Infrastruktur wurde in Deutschland seit der Jahrhundertwende intensiviert, was insb. an zwei Großprojekten von nationaler Tragweite deutlich wurde: dem Ausbau der Kindertageseinrichtungen und der Ganztagsschulen.

a) Ausbau der Kindertagesbetreuung: Ein frühzeitig einsetzendes öffentliches Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebot eröffnet Möglichkeiten einer familienergänzenden frühen Bildung sämtlicher Kinder sowie einer besseren Chancengerechtigkeit (Chancengerechtigkeit, Chancengleichheit) für Kinder aus benachteiligten Herkunftsmilieus. Gleichzeitig kann öffentlich bereitgestellte Kindertagesbetreuung (Kindertagesstätte) die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. So wurden noch 1960 in Westdeutschland 15 % aller Kinder unter sechs Jahren in Einrichtungen betreut (fast ausschließlich in den beiden letzten Jahren vor der Einschulung). 2022 waren deutschlandweit 3,5 Mio. Kinder unter 6 Jahren in der Kindertagesbetreuung; das entspricht 64 % aller Kinder in diesem Alter (Forschungsdatenzentrum 2023). Der Ausbau des Angebots wurde u. a. durch Rechtsansprüche auf einen Kindergartenplatz (1996) sowie auf einen Betreuungsplatz für Ein- und Zweijährige (2014) forciert. Für Kinder nach dem vollendeten ersten Lebensjahr ist damit neben der Familie ein neuer Lern- und Lebensort entstanden, mehrheitlich in Trägerschaft zivilgesellschaftlicher, nicht-staatlicher Akteure, was zugleich zu einer stärkeren Institutionalisierung der frühen Kindheit noch vor der Grundschule beiträgt.

b) Ausbau der Ganztagsschule: Im Schuljahr 2021/22 waren nach Angaben der KMK rund 72 % der Grundschulen Ganztagsschulen; hinzu kommen noch die Horte der Kinder- und Jugendhilfe. Mehr als 3,5 Mio. Schülerinnen und Schüler nut-zen inzwischen das Ganztagsangebot an den allgemeinbildenden Schulen (KMK 2023). Diese Entwicklung ist die umfassendste Reform der Schule in den letzten Jahrzehnten. Mit dem inzwischen bundesweit beschlossenen Rechtsanspruch auf ein Ganztagsangebot ab 2026 für neu eingeschulte Grundschulkinder entfaltet sich der Ganztag endgültig zu einem flächendeckenden Regelangebot für Kinder im Grundschulalter. Diese Entwicklung eröffnet auch mit Blick auf Familien mit Kindern im Schulalter erhebliche Potenziale. So ist eine wesentliche Triebfeder des Ausbaus der Ganztagesgrundschule die Schaffung eines verlässlichen Betreuungsangebots für Grundschulkinder sowie die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auf diese Weise werden Eltern und Familien im Prozess des Aufwachsens der Kinder durch verbesserte soziale Infrastruktur unterstützt und entlastet.

Beide familienergänzenden Hilfen tragen zu einer sozialstaatlichen und öffentlichen Verantwortungserweiterung für Heranwachsende bei. Dennoch bleibt die Familie das bedeutsamste Beziehungsgefüge für Kinder.

3. Familienersetzende Maßnahmen

Wichtig sind familienersetzende Maßnahmen, sind diese doch Ausdruck einer am Kindeswohl orientierten Wohlfahrtspolitik. So wächst eine vergleichsweise kleine Gruppe von Kindern und Jugendlichen phasenweise außerhalb der Herkunftsfamilie auf. Basis hierfür sind die im SGB VIII geregelten „Hilfen zur Erziehung“. Im Jahr 2021 lebten knapp 123 000 Kinder und Jugendliche in Heimen; rund 87 000 waren darüber hinaus mittel- und längerfristig in Pflegefamilien untergebracht: zusammen knapp mehr als 1,4 % der altersgleichen Bevölkerung. Dabei weist die Statistik über die im Jahr 2013 beendeten Hilfen aus, dass diese Kinder und Jugendlichen im Schnitt 49 Monate in Pflegefamilien bzw. knapp 21 Monate in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe lebten (Fendrich u.a. 2023). Insb. bei stationären Angeboten zeigt sich ein enger Zusammenhang zwischen Lebenslagen der Familien (Alleinerziehende, Armut, Migration) und einem Erziehungsbedarf außerhalb der Familie. So trifft das Kind eines alleinerziehenden Elternteils eine fünffach höhere Wahrscheinlichkeit, in einem Heim oder einer Pflegefamilie untergebracht zu werden als ein Kind aus einer zusammenlebenden Familie. Verstärkt wird dieser Bedarf noch bei einer sozio-ökonomisch prekären Familiensituation.

4. Ausblick

Die Weiterentwicklung der F. zu Beginn des 21. Jh. hat dazu beigetragen, Familien besser gerecht zu werden. Mit der Ausrichtung am Modell der Zweiverdiener-Familie bzw. an der individuellen Erwerbstätigkeit von erwachsenen Männern wie Frauen entsprach die F. auch den Erwartungen von Wirtschaftsverbänden und Arbeitgebern. Der Ausbau der familienergänzenden Angebote wurde nicht zuletzt auch aufgrund des steigenden Bedarfs an Erwerbstätigen am Arbeitsmarkt vorangetrieben. Mithilfe des erweiterten Betreuungsangebots kann die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zwar deutlich besser realisiert werden als früher. Wenn aber damit zugleich die Erwartung umfassender zeitlicher Verfügbarkeit von Eltern im Beruf weiter steigt, werden die Dilemmata der zeitlichen Vereinbarkeit bestehen bleiben. Infolgedessen sind inzwischen verstärkt Initiativen einer neuen Zeitpolitik für Familien auszumachen. Veränderungen lassen sich schließlich auch im Verhältnis des Bildungssystems zur Familie konstatieren: Mit der Neuausrichtung der F. und dem Ausbau unterstützender und ergänzender Angebote geht die Hoffnung einher, die in Deutschland seit langem beklagten herkunftsbedingten ungleichen Startchancen von Kindern ausgleichen zu können. Bisher ist jedoch nur ansatzweise zu erkennen, dass sich die Hoffnung auf besser gelingende Bildungsprozesse durch stärkere Übernahme öffentlicher Verantwortung für alle gleichermaßen erfüllt.

III. Entwicklung der Familienförderung

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Art. 6 GG stellt Ehe und Familie unter den Schutz der staatlichen Ordnung und betont das natürliche Recht und die Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Kinder dürfen nur dann von ihren Eltern getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen. Art. 6 formuliert auch den Anspruch der Mutter auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft und betont, dass unabhängig von der elterlichen Lebensform alle Kinder einen Anspruch auf gleiche Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung haben. Die Verantwortung der Eltern wird durch die Formulierung des staatlichen Wächteramts unterstrichen.

Die durch den Deutschen Bundestag 1991 angenommene UN-Kinderrechtskonvention definiert zur Realisierung dieser Verantwortung präzise Kinderrechte: Recht auf Bildung und Ausbildung, Recht auf Gesundheit, Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung, Recht auf Privatsphäre und gewaltfreie Erziehung, Recht auf Teilhabe bei Behinderung, Recht, sich zu informieren und gehört zu werden, Recht auf Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung, Recht auf einen Namen und eine Staatsangehörigkeit, Recht auf eine Familie und die elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause.

Dieser Anforderungskatalog erklärt, warum F. i. d. R. als eine in vielen Politikfeldern verankerte Querschnittsaufgabe bezeichnet wird, welche die konkreten Lebensverhältnisse vor Ort und zugleich die Zuständigkeit der Bundesländer (Bildung) und des Bundes (Gesundheit) betrifft.

Herausforderungen liegen wesentlich zudem darin, dass die im GG verwendeten Begriffe einem sprachlichen, aber auch durch die sich verändernden Lebensverhältnisse in der Gesellschaft einem begrifflichen Wandel unterliegen. Das GG von 1949 hat sich stark auf die Partnerschaft von Mann und Frau in der Ehe und die Beziehung der Eltern zu ihren nicht volljährigen Kindern konzentriert. Heute spielen infolge der gestiegenen Lebenserwartung auch die Beziehungen der erwachsenen Kinder zu ihren Eltern eine Rolle. Die Entwicklung der Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen hat dazu geführt, die Beziehungen zwischen Partnerin und Partner nicht mehr allein unter der Perspektive von Ehe und Familie zu sehen, sondern auch nach den Konsequenzen für die Ausgestaltung der Pflege und Erziehung von Kindern zu fragen. In einer Gesellschaft mit hohen Scheidungsquoten und dem Regelfall, dass Kinder weiterhin bei der Mutter leben, stellt sich das Problem, den besonderen Schutz von Müttern zu gewährleisten.

1. Familienleitbilder, Dynamik des sozialen Wandels und Funktionen der Familie

Trotz der nach dem Zweiten Weltkrieg gestiegenen Scheidungszahlen wurde die Familie als Institution interpretiert, in der Mutter und Vater zusammen in einer auf Dauer angelegten Gemeinschaft für ihre Kinder sorgen. Diese Position war auch in der Wissenschaft zu finden. Talcott Parsons versuchte nachzuweisen, dass diese Lebensform in ihrer Ausprägung universell und die Aufgabenteilung zwischen dem berufstätigen Vater und der fürsorglichen Mutter auch eine funktionale Voraussetzung für das Gelingen der kindlichen Sozialisation sei.

Die starke Betonung der Ehe und der Familie als Institutionen mit eigenen Rechten und Pflichten auch gegenüber dem Staat hängt mit dem Prinzip der Subsidiarität zusammen, von dem Art. 6 GG geprägt ist. Dort kommt zum Ausdruck, dass es zunächst die Aufgabe der Eltern ist, ihre Kinder zu erziehen und für sie zu sorgen; die Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft ist es, dies zu ermöglichen (schützen) und gleichzeitig zu gewährleisten (Wächteramt).

Das hat Auswirkungen auf die Gesetzgebung wie auf die Unterstützungsleistungen von Staat und Gesellschaft. So gibt es in der BRD anders als etwa in Frankreich keine Kindergartenpflicht, sondern ein Recht auf einen Kindergartenplatz (1995) und auf einen Krippenplatz (2007), das die Eltern für ihre Kinder wahrnehmen können, aber nicht müssen. Wenn über die Vielfalt der verschiedenen Trägereinrichtungen von Angeboten geklagt wird oder auch über unterschiedliche Strategien und Konzepte der einzelnen Bundesländer und Kommunen, so ist das nicht nur Ausdruck der föderalen Staatsstruktur (Föderalismus), sondern auch Ausdruck dieses Subsidiaritätsprinzips, das die Eltern zu den Hauptakteuren macht, die durch Angebote anderer Akteure und des Staates unterstützt werden.

Die Sichtweise auf Ehe und Familie als Institution, die es zu schützen gilt, hat viele Rechtsbereiche auch außerhalb des Familienrechts geprägt, etwa das Steuerrecht mit dem Ehegattensplitting (1957), das Sozialrecht (Witwenrente), oder auch den engeren Bereich des Familienrechts mit dem Unterhaltsrecht. Der Wandel der familiären Lebensformen, wie das Entstehen nichtehelicher Lebensgemeinschaften oder auch die in den 1970er Jahren weiter deutliche Zunahme der Scheidungen, hat zu der Vorstellung geführt, dass angesichts dieser zunehmenden Vielfalt der Schutz von Ehe und Familie am ehesten dadurch zu erreichen sei, dass die Aufgaben, die die Ehepartner und Eltern füreinander und für ihre Kinder wahrnehmen, politisch unterstützt werden, während die Bedeutung der Förderung der Institution „Ehe“ in der politischen Diskussion an Bedeutung verloren hat. Der Fünfte Familienbericht (1994) hat diesen Perspektivwechsel damit begründet, dass in der Familie die Basis für die Entwicklung des Humankapitals einer jeden Gesellschaft gelegt wird. Die Leistung der Familie für die Gesellschaft ist demnach die Legitimationsbasis der F. Daher wird auch nicht mehr vom Familienlastenausgleich gesprochen, sondern vom Familienleistungsausgleich.

Der Siebte Familienbericht (2006) hat diese Sicht elterlicher Fürsorge und Erziehung als zentrale Aufgaben für die Entwicklung des Humanvermögens in den modernen Gesellschaften wieder aufgegriffen. Darin wurde der Vorschlag gemacht, die familienpolitischen Leistungen und Unterstützungsmaßnahmen danach zu unterscheiden, ob sie als finanzielle Leistungen der Sicherung der materiellen Existenzbasis von Familien dienen, ob sie durch Angebote einer familien- und kinderorientierten Infrastruktur die Eltern unterstützen und ob sie durch eine Zeitpolitik den Eltern und den Kindern jene Zeitfenster ermöglichen, die erforderlich sind, damit die Kinder die Fürsorge und Erziehung erfahren können, die sie für ihre Entwicklung benötigen.

2. Vom Familienlastenausgleich zum Familienleistungssausgleich

Konrad Adenauer begründete 1953 die Einrichtung des Familienministeriums mit der demographischen Perspektive der „wachsenden Überalterung des deutschen Volkes“, weil „die Langlebigkeit wächst und die Geburtenzahl abnimmt.“ Nach seiner Meinung könne der technische Fortschritt die zunehmende Verringerung des Anteils der Menschen, die im „produktiven Alter“ stehen, nicht ausgleichen, weswegen eine „zielbewusste Familienpolitik“ die Familie zu fördern habe, um diesem Prozess entgegenzuwirken (zit. n. Wingen 1993: 85).

K. Adenauers Argumentation findet sich noch immer in der Begründung der Demographiestrategie der Bundesregierung (2015). Geändert haben sich nur die Handlungsfelder. K. Adenauer setzte auf die finanzielle Förderung, während man inzwischen hofft, diese Entwicklung durch Mobilisierung aller Erwerbsfähigen für den Arbeitsmarkt sowie durch Einwanderung abzumildern.

Ein zentrales Element der finanziellen Förderung waren die Steuerfreibeträge, die schon seit 1946 vom ersten Kind an berücksichtigt wurden. Dadurch kann das Existenzminimum von Kindern verfassungsgemäß steuerfrei gestellt und zugleich das Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit gesichert werden, weil bei der progressiven Besteuerung die Entlastungseffekte mit Zunahme der Progression auch größer werden. Die in sich konsistente Konstruktion hatte den familienpolitisch gewünschten Effekt, zu einem horizontalen Ausgleich zwischen denjenigen, die für Kinder sorgen, und denjenigen, die kinderlos sind, beizutragen.

Unter einer familienpolitischen Perspektive ist aber die Wirksamkeit von Steuerfreibeträgen bei kinderreichen Familien, die selten über ein hohes Einkommen verfügen, ebenso wie bei Familien mit einem Kind mit geringem Einkommen kontraintuitiv. Denn genau dort, wo familienpolitisch die Unterstützung bes. groß sein müsste, fällt sie bes. klein aus.

Das aufgrund eines Urteils des BVerfG eingeführte Ehegattensplitting folgt auch dem Modell des Nachteilsausgleichs und der horizontalen Gerechtigkeit. Eheleute sind wechselseitig unterhaltsverpflichtet. Das Splitting soll sicherstellen, dass diese Verpflichtung durch Nichtberücksichtigung bei der Steuer nicht erschwert wird. Denn die Familie ist eine „rechtsverbindliche Verantwortungsgemeinschaft, die zwischen Eltern und Kindern geschlossen wird“ (Kirchhof 2014: 70). Nur tritt auch hier der gleiche paradoxe Effekt wie beim Freibetrag auf: Steuerrechtlich ist die höhere Entlastung bei höheren Einkommen richtig, familienpolitisch aber nicht plausibel.

Der Gesetzgeber hat großen Spielraum, um die Verantwortungsgemeinschaft der Familie nicht gegenüber anderen Lebensformen zu benachteiligen. Das Grundprinzip der steuerlichen Gerechtigkeit gegenüber dieser Verantwortungsgemeinschaft kann er aber verfassungsrechtlich nicht beiseiteschieben. Diese enge steuerrechtliche Verknüpfung erklärt die vielfältigen Diskussionen über die Höhe der Familienförderung.

Die große Leistung der Hinterbliebenenversorgung für Witwen wurde in den 1950er und 60er Jahren in der heute noch geltenden Form als ein Generationen-Vertragsmodell konzipiert, in dem die Leistungen der aktiven Generation für die eigene Elterngeneration und für die nachwachsende Generation verknüpft werden sollten. Das Modell ging davon aus, durch eine von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragenen Umlage Rentnern und Hinterbliebenen angemessenes Einkommen zu sichern und gleichzeitig auch Eltern die Kosten für ihre Kinder zu erstatten (Vorrente). Explizit wurden auch die Kriegerwitwen berücksichtigt, weil sie durch ihre Erziehungsleistung ganz wesentlich zur ökonomischen Entwicklung der Gesellschaft beigetragen hätten. Bei der Einführung der dynamischen Alterssicherung 1957 wurde dann jedoch angesichts der damals steigenden Kinderzahlen auf die Vorrente für die Kinder verzichtet.

Ein Vergleich der Pro-Kopf-Einkommen von Familien mit Kindern Anfang der 1970er Jahre mit heute zeigt, dass es nicht gelungen ist, den immer wieder betonten Nachteilsausgleich und damit horizontale Gerechtigkeit herzustellen. Die Einkommensdifferenzen haben sich, inflationsbereinigt, in den letzten 40 Jahren zwischen Familien mit und Paaren ohne Kindern nicht verändert, obwohl inzwischen der Prozentsatz der berufstätigen Mütter in ganz Deutschland im europäischen Vergleich kaum noch übertroffen wird. Allerdings haben, auch im europäischen Vergleich, Paare mit Kindern, wenn beide Eltern berufstätig sind, kaum relative Armut zu fürchten, nämlich nur etwa 3 %.

Allen Diskussionen über eine gerechte Relation zwischen direkten Transfers und steuerlichen Freibeträgen liegt die Vorstellung eines Familienleistungsausgleichs zugrunde, bei dem die Familien ökonomisch selbständige Einheiten sind (Subsidiaritätsprinzip) und der Staat sie durch die Sicherung des Existenzminimums für Kinder darin unterstützt, die notwendigen Leistungen der Erziehung und Fürsorge zu erbringen.

3. Kindergarten und Krippe: Von der Betreuung zur Bildung

Der Zweite Familienbericht der Bundesregierung dokumentiert einen dramatischen Themenwechsel im familien- und gesellschaftspolitischen Diskurs (1974). Er machte deutlich, dass Familien mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund die Entwicklung ihrer Kinder sehr unterschiedlich fördern und daher die Notwendigkeit bestehe, einen Teil dieser Sozialisationsdefizite zu kompensieren.

Die Mehrheit der Kommission war der Auffassung, diese Kompensationsleistungen seien sinnvollerweise erst ab dem dritten Lebensjahr von Bedeutung, weil die kindliche Entwicklung vorher durch Bindungsverluste beeinträchtigt werden könne. Der Ausbau der Kinderbetreuung wurde damals aber auch zum Thema, weil die durch die Bildungsreform zunehmend qualifizierten jungen Frauen Familie und Beruf vereinbaren wollten. Schon in der ersten Brigitte-Untersuchung wie auch in einer Untersuchung für das Bundesministerium für Familie und Jugend 1974 war deutlich geworden, dass diese junge Müttergeneration Kinder erziehen und auch die eigenen beruflichen Qualifikationen einsetzen wie ökonomisch selbstständig sein wollte. 1972 waren in Großstädten wie München oder Berlin bereits über 70 % der jungen Frauen zwischen 30 und 49 Jahren erwerbstätig; in anderen Teilen der Bundesrepublik, wie etwa Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen, war das noch ganz anders.

Als großes Thema wurde zunehmend auch die Frage der Geschlechterrollen zwischen Mann und Frau in ihrer Aufgabenteilung thematisiert. In diesem Kontext sah die Eherechtsreform 1978 durch die Einführung des Zerrüttungsprinzips im Scheidungsfall den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe, solange keiner der beiden Partner „schuldhaft“ die eheliche Beziehung infrage stellte. Damit folgte die Politik einem schon länger anhaltenden Trend steigender Scheidungsquoten trotz des Verschuldensprinzips. Diese Themen beherrschen die gesellschaftspolitische Diskussion bis heute.

Trotz des erkennbaren Wandels und der veränderten öffentlichen Wahrnehmung reagierte die Politik eher zurückhaltend. So stieg zwar zwischen 1973 und 1979 der Anteil der 3- bis 6-jährigen, die den in der Regel nur am Vormittag angebotenen Kindergarten besuchten, von etwa 25 auf 69 bis 79 %, je nach Bundesland. Das war aber im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sich in dieser Zeit jener dramatische Geburtenrückgang von 1,9 auf 1,4 Kinder pro Frau vollzog. Allerdings entwickelte sich ganz in der Argumentation des Zweiten Familienberichts in der frühkindlichen Pädagogik eine Reihe von Konzepten, die Bildungschancen und Elternarbeit in die Praxis umsetzten und die Voraussetzung für die hohe Akzeptanz von Kindergärten und -krippen als Bildungsstätten bei allen Eltern schufen (Früherziehung). Doch erst die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1991 (KJHG bzw. SGB VIII) erkannte diese Infrastrukturangebote als familienergänzende Leistungen an. 1995 wurde der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zum Gesetz, nicht aber wie in anderen europäischen Ländern (Frankreich, Italien) eine Vorschulpflicht, weil es „zuvörderst Aufgabe der Eltern ist, die Kinder zu erziehen“ (§ 1 SGB VIII). Eltern haben das letzte Wort, der Staat aber die Pflicht zu unterstützenden Leistungen. Die hohe Akzeptanz dieser Einrichtungen bei jungen Eltern hängt entscheidend von erkennbarer Bildungsperspektive ab. 2007 trat der Rechtsanspruch hinzu, nachdem zunächst das Tagesbetreuungsausbaugesetz (2002) den Ausbau dieser Einrichtungen mit den Bundesländern abgestimmt hatte.

4. Das Dreiphasenmodell, die Rushhour und Fürsorge im Lebensverlauf

Alva Myrdal und Viola Klein (1956) haben zu einer Zeit, als die durchschnittliche Arbeitszeit 48 Stunden betrug und die Hausarbeit ohne Kinderbetreuung rund 36 Stunden beanspruchte, ein Dreiphasenmodell vorgeschlagen: In der ersten Lebensphase der Frau sollten Bildung und Berufstätigkeit dominieren, in der zweiten die Fürsorge für Kinder und in der dritten wieder die Berufstätigkeit. Dieses Modell organisiert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als sequenzielles Lebenslaufmodell. Obwohl es viel diskutiert wurde, war schon früh klar, dass es qualifiziert ausgebildeten Frauen kaum Chancen brachte, ihre Kompetenzen auch in der Berufswelt zu entwickeln. Gleichzeitig wurde empirisch nachgewiesen, dass eine lange Unterbrechung der Berufstätigkeit in der Regel jede Karrierevorstellung ad absurdum führte.

Seit Ende der 1960er Jahre wuchs in der Politik die Erkenntnis, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur dann zu erreichen ist, wenn Zeitpolitik als Teil einer Gleichstellungspolitik gilt, weil sonst Fürsorge für Kinder und Haushaltsführung allein von den Müttern zu tragen sind. Gleichwohl blieb die Zeitpolitik wesentlich dem sequenziellen Modell verhaftet: Sowohl die Verbesserung der beruflichen Wiedereingliederung nach einer Familienphase (Arbeitsförderungsgesetz 1969) als auch die Einführung von Pflegetagen für die Eltern erkrankter Kinder (1974) und das 1979 eingeführte Gesetz zum Mutterschaftsurlaub folgten diesem Modell. Das Bundeserziehungsgeld- und Mutterschaftsurlaubsgesetz (1986) hatte große Ähnlichkeit mit den Regelungen des Babyjahrs in der DDR: 600 DM Unterstützung in den ersten zehn Lebensmonaten (zusätzlich Mutterschutz), Arbeitsplatzgarantie nach der Geburt des Kindes und die Einbeziehung der Väter gab es auch dort. 1992 wurden die Pflegetage für Eltern kranker Kinder von fünf auf bis zu zehn Arbeitstage verlängert, der Erziehungsurlaub mit Arbeitsplatzgarantie auf bis zu drei Jahre ausgeweitet und 1993 das Erziehungsgeld auf 24 Monate ausgedehnt. Insgesamt änderten sich damit die Zeitregelungen, die Mitte der 1980er Jahre in Westdeutschland entwickelt worden waren, nur unwesentlich.

Der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit während der Elternzeit (2001) machte zum ersten Mal deutlich, dass die Bedürfnisse und die Fürsorge für kleine Kinder im täglichen Arbeitsablauf grundsätzlich im Arbeitsablauf der Mütter ebenso zu berücksichtigen sind wie betriebliche Belange: der eigentliche Beginn einer „parallelen“ Zeitpolitik, die klar formulierte, dass selbst bei einer kontinuierlichen Berufstätigkeit die Organisation der Arbeitszeit auf die Bedürfnisse von Kindern Rücksicht zu nehmen hat. Dass eine solche Zeitpolitik auch eine bessere Infrastruktur erfordert, verdeutlichte das Tagesbetreuungsausbaugesetz (2005). Die Einführung des einkommensabhängigen Elterngeldes (2007) und des Kinderförderungsgesetzes (2008) schließen diese Entwicklung in gewisser Weise ab. Politik und Staat interpretieren die Fürsorge für Kinder als gleichwertig mit dem Beruf (einkommensabhängiges Elterngeld) und gehen davon aus, dass Unternehmen und Wirtschaft dies berücksichtigen, und zwar nicht nur solange die Kinder klein sind. Auch wird deutlich, dass Väter ebenso wie Mütter in der Pflicht sind, ihre Kinder zu erziehen, denn Art. 6 GG formuliert Elternpflichten und kennt keine Differenzierung nach Vater und Mutter. Der Rechtsanspruch auf Betreuung überlässt schließlich den Eltern die Entscheidung, wie sie ihr Leben mit den Kindern gestalten, während der Staat garantiert, dass sie beide in gleicher Weise Beruf und Familie realisieren können.

5. Geldpolitik, Infrastrukturpolitik, Zeitpolitik: Zukunftsperspektiven

Von der gesellschaftlich akzeptierten Einsicht, dass Kinderbetreuung ein wichtiger Baustein für die kindliche Entwicklung sein kann, wie es der Zweite Familienbericht 1975 auf der Basis der damaligen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse formuliert hat, dauerte es 20 Jahre bis zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Die horizontale Gerechtigkeit zwischen Familien mit Kindern und kinderlosen Paaren ist bis heute ebenso wenig erreicht wie etwa die Senkung der überproportionalen relativen Armut von Kindern alleinerziehender Eltern. Die nachteiligen Effekte der Fürsorge für Kinder als einem zentralen Element der Zukunftssicherung des Humanvermögens in modernen Gesellschaften in Bezug auf die ökonomische Situation von Familien und die berufliche Teilhabe von Frauen sind international und national wissenschaftlich und politisch bestens dokumentiert, aber die politischen Lösungen vollziehen sich i. d. R. sehr langsam.

In der öffentlichen Diskussion werden solche gesellschaftspolitischen Probleme auf verschiedene politische Ideologien zurückgeführt. Doch hängt die langsame Entwicklung in Deutschland auch mit der sehr spezifisch „deutschen“ institutionellen Struktur zusammen.

Die Instrumente finanzieller Unterstützung sind ohne die Steuerpolitik und die dort geltenden Kriterien und Regeln gar nicht denkbar. Steuerliche Freistellung des Existenzminimums, horizontale Gerechtigkeit, Besteuerung nach Leistungsfähigkeit und Kinderfreibeträge sind wie viele andere Elemente finanzieller Förderung so eng in die Steuerpolitik verwoben, dass die Finanzpolitik häufig ausschlaggebender ist als familienpolitische Vorstellungen. Zudem sind alle finanziellen Leistungen, die über die Einkommensteuer geregelt werden, zwischen Bund und Ländern auszuhandeln, sodass auch die föderale Struktur interveniert.

Das gilt in gleicher Weise auch für die Entwicklung institutioneller Unterstützungsleistungen. Hier hat der Bund über das KJHG zwar die Gesetzgebungskompetenz, aber die Leistungen müssen letztlich konkret vor Ort in den Kommunen erbracht werden, sodass hier alle drei staatlichen Ebenen zusammenwirken müssen.

Zeitpolitik für Kinder und Familien hängt immer auch von den Regelungen im Arbeitsrecht ab, so dass Arbeits- und Sozialrecht und damit Politiker und Beamte in den jeweiligen Bereichen eine originäre Mitwirkung bei der Gestaltung dieser Konzepte haben.

Jenseits dieser Verwobenheit mit anderen Politikfeldern und allen föderalen Handlungsebenen bleibt die sehr genaue Beschreibung der Aufgabenstellung von Ehe und Familie für Kinder in unserer Verfassung und ihrer Relation zum staatlichen Handeln bestimmt. Diesem Modell liegt die Vorstellung eines subsidiären Sozialstaats zugrunde. Notwendigerweise ist in diesem Kontext das BVerfG mit seiner Rechtsnormsetzung ein wichtiger Partner. Denn beim Wandel der familiären Lebensformen ist immer wieder zu prüfen, ob und wie die neue Ausgestaltung und Anpassung an solche Wandlungsprozesse in den Verfassungsrahmen einzufügen ist.

Diese Komplexität der Entscheidungsstrukturen bedingt unverhältnismäßig aufwändigere Konsensbildungsprozesse als auf anderen Politikfeldern. Dieser hohe Aufwand gewährleistet andererseits hohe Durchsetzungskraft in der Praxis. Beim Vergleich des Ausbaus der Kindertagesbetreuung in Frankreich in der Amtszeit von Präsident François Mitterrand mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung für die unter Dreijährigen in den letzten Jahren in Deutschland zeigt sich, dass der Zentralstaat in Frankreich zwar schnell gesetzliche Regelungen traf, aber der Ausbau in diesen zehn Jahren gerade 300 000 Plätze schuf, eine Zahl, die der Freistaat Bayern in vier Jahren erreicht hat.

Für die Zukunft stellen sich drei große Herausforderungen, die sich aus der bisherigen Entwicklung ableiten lassen. Die verschiedenen finanziellen Zuwendungen des Familienleistungsausgleichs, sind einerseits Ergebnis steuerrechtlicher Überlegungen, wie die Freistellung des Existenzminimums von Kindern oder die Vermeidung von Nachteilen im Steuerrecht, andererseits aber auch das Ergebnis von Vorstellungen der Familienförderung, etwa beim Kindergeld. Hinzu kommen sozialrechtliche Überlegungen als Basis für die Mitversicherung und die Witwenrente. Bis heute haben weder der Gesetzgeber noch die Parteien ein Konzept vorgelegt, das sicherstellt, dass alle Kinder in gleicher Weise von den finanziellen Leistungen profitieren, unabhängig von der Lebensform der Eltern, eine dringende Forderung. Dass diese grundsätzlichen Fragen in den 1970er Jahren in der Politik viel offener diskutiert wurden als heute, ist erstaunlich.

Bei der Entwicklung der Infrastruktur für Kinder genoss die Gruppe der null- bis sechsjährigen Kinder Priorität, obwohl die Kinder noch mit sieben oder acht Jahren Hilfe und Unterstützung brauchen, etwa wenn die Eltern berufstätig sind. Daneben fehlt bisher eine klare Perspektive und Debatte darüber, wie eigentlich die Lebensumwelt von Kindern in den großen Metropolen zu gestalten ist, weil die Bevölkerung in Deutschland zunehmend in Verdichtungsräumen lebt. Die Zeitpolitik hat inzwischen den Zusammenhang zwischen Lebenslauf als sequenzieller Zeitpolitik und dem Alltag zwischen Fürsorge für Kinder und beruflicher Aktivität als paralleler Zeitpolitik in einen gesetzlichen Rahmen gebracht. Jedoch bleibt die konkrete Ausgestaltung zu klären, etwa wie die Arbeitszeiten zwischen Mann und Frau in welcher Lebensphase sinnvoll gestaltet werden können, wie die Fürsorgezeit für Kinder nicht nur vor dem dritten Lebensjahr entspr. der kindlichen Entwicklung verteilt werden kann, wie auch bei zunehmender Lebenserwartung die Fürsorge für die ältere Generation in ein zeitpolitisches Modell zu integrieren ist.

Im gesellschaftlichen Wandel erschöpft sich, wie allgemein akzeptiert, die Unterstützung von Familien nicht mehr allein in finanziellen Zuwendungen. Inzwischen sind auch viele der klassischen Grabenkämpfe zwischen unterschiedlichen familiären Lebensmodellen in Politik und Gesellschaft weitgehend überwunden, so dass die Integration von Zeit, Geld und Infrastruktur durchaus mit unterschiedlichen Lösungen weiter entwickelt werden kann. Gleichwohl scheint ein gesellschaftlicher Konsens auf, der sich auf diese drei Elemente stützt.