Elterliches Sorgerecht

1. Definition

Als elterliche Sorge bezeichnet man die Pflicht und das Recht der Eltern, für das minderjährige Kind zu sorgen (§ 1626 Abs. 1 BGB). Die Definition verdeutlicht, dass das Sorgerecht den Eltern nicht um ihrer selbst, sondern um des Kindes willen verliehen ist. Es handelt sich um ein Pflichtrecht. Gegenstände des e.n S.s sind die Personen- und Vermögenssorge. Inhaltlich korrespondiert es mit dem staatsgerichteten Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG).

2. Geschichte

Historischer Vorläufer des e.n S.s ist die väterliche Gewalt. Die römische patria potestas vermittelte dem Hausvater ein Herrschaftsrecht, das ursprünglich bis zur Entscheidung über Leben und Tod seiner Kinder reichte. Vergleichbare Befugnisse vermittelte die deutschrechtliche munt, die im Gegensatz zur patria potestas stets mit Schutzpflichten einherging. Im Verlauf der Geschichte verringerte sich der Umfang der väterlichen Gewalt. Wichtigster Kausalfaktor war die Ausweitung und Verdichtung staatlicher Kompetenzen, die namentlich dazu führte, dass der Hausvater die Strafgewalt über seine Kinder verlor. Ein weiterer Kausalfaktor war die kanonische Lehre von der Konsensehe, die das Erfordernis der väterlichen Zustimmung zur Eheschließung negierte und den Gedanken einer herrschaftsfreien, höchstpersönlichen Sphäre des Kindes begründete. Daran anknüpfend postulierte die individualistische Aufklärungsphilosophie (Aufklärung) sogar Rechte der Kinder (Kinderrechte) gegen die Eltern und betonte den Pflichtcharakter der elterlichen Sorge. Diese Sichtweise prägte die frühen Kodifikationen des Zivilrechts. Ein Beispiel ist das PrALR (1794), das den Vater verpflichtete, bei der Bestimmung der künftigen Lebensart des Sohnes auf dessen Neigungen Rücksicht zu nehmen (ALR II 2, §§ 109 ff.) und die elterliche Gewalt gerichtlicher Kontrolle unterwarf (ALR II 2, §§ 90 f.).

Auch das BGB betont die Schutzpflicht der Eltern. In seiner Urfassung ordnete es dem Vater die „Hauptgewalt“ und der Mutter eine „Nebengewalt“ zu (§ 1627 BGB a.F.). Der Vater war alleiniger Vertreter des Kindes und hatte in Sorgeangelegenheiten das Recht der Letztentscheidung (§ 1634 S. 2 BGB a.F.). Die Aufgaben der Mutter beschränkten sich weitgehend auf die praktische Personensorge (§§ 1634 S. 1, 1631 BGB a.F.).

Gesetzesreformen änderten die Zuordnung des e.n S.s. Zunächst wurde die verheiratete Mutter dem Vater gleichgestellt (GleichberG, 1958; EheRG, 1976). Spätere Reformen verbesserten die Rechte unverheirateter Eltern. Mit dem Beistandschaftsgesetz entfiel die Amtspflegschaft über nichteheliche Kinder, die das e. S. der unverheirateten Mutter beschnitten hatte (1998). Gleichzeitig schuf der Gesetzgeber die gemeinsame Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern (Kindschaftsrechtsreformgesetz 1998). Hinzu kam wenig später das kleine Sorgerecht der Stiefeltern und Lebenspartner (§ 1687b BGB, § 9 LPartG). Die jüngsten Reformen stärken die Rechte des mit der Kindsmutter nicht verheirateten Vaters. Das NEheSorgeRG (2012) ermöglicht diesem einen Sorgerechtserwerb auch gegen den Willen der Mütter (§ 1626a Abs. 1 Nr. 3 BGB), während das VätRStG (2013) ihm ein Umgangs- und Auskunftsrecht verschaffte (§ 1686a BGB).

Gestärkt wurden auch die Rechte des Kindes. Den tiefsten Einschnitt markiert das SorgeRG (1980), das den Begriff der elterlichen Gewalt durch den Begriff der elterlichen Sorge ersetzte (§ 1626 BGB). Es begründete gegenseitige Rücksichtnahmepflichten (§ 1618a BGB), ächtete entwürdigende Erziehungsmaßnahmen (§ 1631 Abs. 2 BGB) und verpflichtete die Eltern, das Kind mit zunehmender Einsichtsfähigkeit an Sorgerechtsentscheidungen zu beteiligen (§§ 1626 Abs. 2, 1631a BGB). Der Gesetzgeber schreitet auf diesem Weg fort. Jüngere Neuerungen sind der Anspruch auf gewaltfreie Erziehung (Gewaltächtungsgesetz, 2000) sowie die Ausweitung und Erleichterung präventiver Schutzmaßnahmen (Kinderrechtsverbesserungsgesetz 2002; KiWoMaG 2008).

3. Systematische Bezüge

Das e. S. ist Ausdruck des von Art. 6 Abs. 2 GG garantierten Elternrechts. Weil die Verfassung nur Grundsätze vorgibt, verfügt der Zivilgesetzgeber bei der Ausgestaltung des e.n S.s über Ermessensspielräume. Grenzen ergeben sich aus dem Gebot der Geschlechtergleichberechtigung (Art. 3 Abs. 1, 2 GG) und den Grundrechten des Kindes. Das e. S. ist ein absolutes Recht. Unbefugte Eingriffe begründen Unterlassungs- und ggf. auch Schadensersatzansprüche (§ 1004 BGB analog, § 823 I BGB). Zugleich ist das e. S. ein höchstpersönliches Recht und deshalb nicht abtretbar, verzichtbar oder vererblich. Möglich sind jedoch die Einwilligung in eine Adoption (§ 1747 BGB) sowie die einvernehmliche Übertragung des e.n S.s auf ein Elternteil (§ 1671 BGB) oder eine Pflegeperson (§ 1630 Abs. 3 BGB). Zudem kann die Ausübung des e.n S.s Dritten überlassen werden.

4. Entstehung und Erlöschen

Die Mutter erwirbt das e. S. mit der Vollendung der Geburt. Ist sie zu diesem Zeitpunkt verheiratet, entsteht ein gemeinsames Sorgerecht der Ehegatten. Das gilt auch, wenn das Kind von einem Dritten gezeugt wurde. Ist der Erzeuger mit der Kindsmutter nicht verheiratet, erwirbt er das e. S. nur unter zwei Voraussetzungen. Er muss rechtlicher Vater des Kindes sein, wozu er einer Vaterschaftsanerkennung oder einer gerichtlichen Feststellung bedarf (§ 1592 Nr. 2, 3 BGB). Ist der mit der Kindsmutter nicht verheiratete Erzeuger rechtlicher Vater, erwirbt er das e. S. wenn beide Eltern erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen, wenn sie einander heiraten oder wenn ihnen das Familiengericht die elterliche Sorge gemeinsam überträgt (§ 1626a Abs. 1 BGB). Andernfalls bleibt es beim alleinigen Sorgerecht der Mutter (§ 1626 Abs. 3 BGB). Adoptiveltern erwerben das Sorgerecht durch den Annahmebeschluss des Familiengerichts (§§ 1752, 1754 Abs. 3 BGB). Im Falle einer Familienpflege kann das Gericht den Pflegepersonen Angelegenheiten der elterlichen Sorge übertragen (§ 1630 Abs. 3 BGB). Über ein eingeschränktes Sorgerecht verfügen auch die Stiefeltern, wenn die Voraussetzungen des § 1687b BGB/§ 9 LPartG erfüllt sind.

Obwohl das e. S. erst mit der Geburt des Kindes entsteht, können die Sorgeberechtigten schon vor diesem Zeitpunkt künftige Rechte des Kindes wahrnehmen (§ 1912 BGB). Auf das ungeborene Kind erstreckt sich das e. S. aber nicht, weshalb der werdende Vater einen Schwangerschaftsabbruch nicht unterbinden kann.

Das e. S. erlischt mit der Volljährigkeit, der Adoption oder dem Tod des Kindes. Außerdem erlischt es beim Tod des Sorgeberechtigten, bei gerichtlicher Sorgeentziehung (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB) und bei der Übertragung auf den anderen Elternteil (§ 1671 BGB). Die Bestellung eines Pflegers beschränkt das e. S. (§ 1630 Abs. 1 BGB). Keine Auswirkungen haben die Bestellung eines Beistandes (§ 1716 BGB) und Maßnahmen des Jugendamts.

Die elterliche Sorge ruht, wenn ein Sorgeberechtigter an der Ausübung gehindert ist. In dieser Zeit kann er sein Sorgerecht nicht ausüben (§ 1675 BGB). So ist es im Falle der Geschäftsunfähigkeit (§ 1673 Abs. 1 BGB). Beschränkt Geschäftsfähige sind nur zur tatsächlichen Personensorge berufen (§ 1673 Abs. 2 BGB). In beiden Fällen ruht die elterliche Sorge kraft Gesetzes und lebt kraft Gesetzes wieder auf, wenn der Hinderungsgrund entfällt. Anders ist es, wenn ein Sorgeberechtigter aus tatsächlichen Gründen an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert ist. In diesen Fällen ruht das Sorgerecht erst, wenn das Familiengericht die Verhinderung per Beschluss feststellt und lebt wieder auf, sobald der Wegfall der Verhinderung beschlussförmig festgestellt ist (§ 1674 BGB). Weitere Gründe für das Ruhen des Sorgerechts sind die Einwilligung in eine Adoption (§ 1751 Abs. 1 BGB) und die vertrauliche Geburt (§ 25 Abs. 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz).

Unterhaltspflichten von Eltern und Kindern (§§ 1601 ff. BGB) und die Dienstleistungspflicht unterhaltsberechtigter Hauskinder (§ 1619 BGB) sind von Bestand und Zuordnung des Sorgerechts unabhängig.

5. Gegenstand und Grenzen

Das e. S. umfasst die Personen- und die Vermögenssorge und vermittelt dem Sorgeberechtigten eine umfassende Vertretungsmacht für das Kind. Gemeinschaftlich Sorgeberechtigte können das Kind grundsätzlich nur gemeinschaftlich vertreten (§ 1629 Abs. 1 BGB). Die Vertretungsmacht der Sorgeberechtigten entfällt bei drohender Interessenkollision (§§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795, 1796 BGB). Ist aus diesem Grund kein Sorgeberechtigter zur Vertretung des Kindes befugt, bestellt das Familiengericht einen Ergänzungspfleger (§ 1909 BGB).

Die Vermögenssorge verpflichtet und berechtigt die Sorgeberechtigten zur Verwaltung des Kindesvermögens. Sie erstreckt sich über das Anlagevermögen des Kindes und dessen Einkünfte aus Vermögen oder Erwerbstätigkeit. Die Vermögenssorge ist heute fremdnützig. Einkünfte aus dem Kindesvermögen, die zur ordnungsgemäßen Vermögensverwaltung nicht benötigt werden, sind für den Unterhalt des Kindes zu verwenden. Reichen diese Einkünfte nicht aus, dürfen die Sorgeberechtigten zum Unterhalt des Kindes auch dessen Einkünfte aus Arbeit oder Erwerbsgeschäft einsetzen. Vermögenseinkünfte des Kindes, die zu dessen Unterhalt nicht benötigt werden, können die Eltern nach Billigkeit für ihren eigenen Unterhalt oder den Unterhalt minderjähriger unverheirateter Geschwister verwenden (§ 1649 BGB).

Die Personensorge handelt von der Erhaltung, Förderung und Entwicklung des Kindes, das zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit heranreifen soll (§ 1 Abs. 1 SGB VIII, § 1626 Abs. 2 BGB). Die einhergehenden Befugnisse sind umfassend. Das BGB erwähnt „insb.“ ein Recht zur Pflege, Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung (§ 1631 Abs. 1 BGB), einen Anspruch auf Herausgabe des Kindes sowie das Recht, den Umgang des Kindes zu bestimmen (§ 1632, Abs. 1, 2 BGB). Dieser Katalog ist nicht abschließend und v. a. ist ihm nicht zu entnehmen, wie weit die einzelnen Kompetenzen reichen.

Grundsätzlich gilt, dass der Umfang des e.n S.s von der einhergehenden Sorgepflicht geprägt wird (Pflichtrecht). Das Recht zur Personensorge vermittelt den Sorgeberechtigten also (nur) die Mittel zur Sicherung des leiblichen und seelischen Kindeswohls. Seine Grenzen sind häufig nur schwer zu ermitteln. Das liegt an Prognoseschwierigkeiten, v. a. jedoch an der Unbestimmtheit des Kindeswohlbegriffs (Kindeswohl). Das GG weist die Deutungshoheit den Eltern zu. Nicht der Staat, sondern die Eltern entscheiden darüber, was ihrem Kind zum Besten gereicht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Grenzen ihrer Befugnisse resultieren aus den Grundrechten des Kindes, um derentwillen der Staat über die Ausübung des e.n Ss. wacht (Brosius-Gersdorf: Art. 6 GG, Rn. 175). Eine absolute Grenze beschreibt § 1631 Abs. 2 BGB, der die Anwendung von Gewalt, körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen untersagt (§ 1631 Abs. 2 BGB). Absolut sind auch die Verbote von Sterilisation (§ 1631c BGB) und Lebendorganspende des Kindes (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 TPG). In körperliche Eingriffe muss das Kind einwilligen, sofern es deren Bedeutung und Tragweite erfassen kann. Das gilt auch für die religiös indizierte Beschneidung des männlichen Kindes, die dem Grunde nach zulässig ist (§ 1631d BGB). Weitere Grenzen des e.n S.s resultieren aus dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Kindes. Nach Vollendung des zwölften Lebensjahrs darf es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis erzogen werden als bisher, zwei Jahre später ist es vollständig religionsmündig (§ 5 RKEG).

Die Abstufung der Religionsmündigkeit bringt einen allgemeinen Gedanken zum Ausdruck: Weil das e. S. der Gewährleistung des Kindeswohls dient, schwindet es mit der Befähigung des Kindes zur Selbstbestimmung. Dem entspricht das gesetzliche Erziehungsleitbild. Es verpflichtet die Sorgeberechtigten, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen, Fragen der elterlichen Sorge mit dem Kind zu besprechen und Einvernehmen anzustreben (§ 1626 Abs. 2 BGB). Die ältere Literatur sah darin einen unzulässigen Eingriff in das verfassungsrechtlich verbürgte Elternrecht. Das ist unzutreffend, denn das Elternrecht wird vom Persönlichkeitsrecht des heranreifenden Kindes begrenzt (BVerfGE 59, 360, 382; Persönlichkeitsrechte). Der Gesetzgeber bringt dies in § 1626 Abs. 2 BGB zum Ausdruck, indem er einen Ausgleich der kollidierenden Rechtspositionen definiert.

Während das e. S. im Innenverhältnis in dem Umfang zurückgeht, in dem die Einsichtsfähigkeit des Kindes wächst, bleibt es im Außenverhältnis nahezu vollständig erhalten. An der umfassenden Vertretungsmacht der Sorgeberechtigten (§ 1629 BGB) ändert sich nämlich nichts. Auch bleibt es dabei, dass das heranwachsende Kind bis zuletzt nur beschränkt geschäftsfähig ist (§§ 104 Nr. 1, 106 ff. BGB). Im Rechtsverkehr kann es deshalb nur ausnahmsweise autonom handeln. Bei der Wahrnehmung seiner Freiheiten ist der Minderjährige deshalb in weitem Umfang auf seine Sorgeberechtigten angewiesen. Problematisch ist dies, wenn seine Intimsphäre betroffen ist. Das gilt v. a. für Arztverträge, die ein beschränkt Geschäftsfähiger nicht selbständig abschließen kann (BGHZ 29, 33, 37). Hinzu kommt, dass das Kind sein Selbstbestimmungsrecht gegen die Eltern kaum durchsetzen kann. Denn Verstöße gegen das gesetzliche Erziehungsleitbild (§ 1626 Abs. 2 BGB) sind in aller Regel nicht justiziabel. Intervenieren kann das Familiengericht nämlich erst, wenn das Kindeswohl konkret und erheblich gefährdet ist (§ 1666 BGB), was bei den üblichen Streitigkeiten um Freiheiten und Erziehungsstile meist nicht der Fall ist.

6. Ausübung und Haftung

Steht das e. S. nur einem Elternteil zu, kann es in Kindesangelegenheiten allein entscheiden. Im Falle der gemeinsamen Sorge sind die Eltern in gleichem Umfang berechtigt und verpflichtet. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie sich um eine Einigung bemühen (§ 1627 BGB). Kommt kein Konsens zustande, können sie das Familiengericht anrufen, das die Entscheidungsbefugnis in der streitigen Angelegenheit dann einem Elternteil überträgt (§ 1628 BGB).

Die Wahrnehmung der elterlichen Sorge ist unentgeltlich. Einhergehende Aufwendungen sind nur ersatzfähig, sofern sie erforderlich und vom Unterhaltsanspruch des Kindes nicht umfasst sind. Verletzungen der Sorgepflicht begründen Ersatzansprüche des Kindes. Haftungsmaßstab ist die eigenübliche Sorgfalt der Sorgeberechtigten (§ 1664 Abs. 1 BGB). Diese müssen in Angelegenheiten des Kindes also nicht sorgfältiger handeln als in den eigenen. Für grob fahrlässiges oder vorsätzliches Handeln haften sie allerdings stets (§ 277 BGB). Weil das e. S. eine umfassende Vertretungsmacht für das Kind begründet, haftet das Kind seinen Gläubigern für das Verschulden der Sorgeberechtigten (§ 278 BGB). Kinder haften also gegebenenfalls für ihre Eltern.