Bundesgerichte

1. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Entspr. dem Grundsatz der Gewaltenteilung wird die Staatsgewalt durch bes. Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Rechtsprechung ist nach Art. 92 GG ausschließlich den Richtern (Richter) anvertraut und wird durch das BVerfG, die im Grundgesetz vorgesehenen B. sowie durch die Gerichte der Länder ausgeübt.

Das BVerfG mit Sitz in Karlsruhe ist das höchste Gericht und anders als die anderen Gerichte Verfassungsorgan der BRD. Ihm allein obliegt die Entscheidung in verfassungsrechtlichen Fragen und damit die Auslegung des GG. Das BVerfG ist keine zusätzliche Revisionsinstanz, sondern prüft ausschließlich, ob Gesetze (Gesetz) oder andere staatliche Maßnahmen mit der Verfassung vereinbar sind. Dabei geht das BVerfG von der Auslegung der Spezialgesetze durch die obersten B. aus.

B. sind insb. die in Art. 95 Abs. 1 GG genannten obersten Gerichtshöfe des Bundes für die Gebiete der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit: der BGH, das BVerwG, der BFH, das BAG und das BSG. Diese Aufzählung ist abschließend. Weitere oberste Gerichtshöfe des Bundes dürfen daher nicht errichtet werden. Zugleich enthält Art. 95 Abs. 1 GG auch eine institutionelle Bestandsgarantie der dort genannten Gerichtshöfe, die eine Zusammenlegung aller oder einzelner oberster B. verfassungsrechtlich ausschließt. Darüber hinaus weist Art. 95 Abs. 1 GG den fünf obersten B.n jeweils eine Fachgerichtsbarkeit zu und gewährleistet im Grundsatz eine fachliche Gliederung der Gerichtsbarkeiten (Gerichtsbarkeit) mit einem Kernbestand an sachlichen Zuständigkeiten. Die Unterschiede zwischen den Gerichtsbarkeiten ergeben sich aus ihrer jeweiligen Zuständigkeit.

Die Verteilung der Rechtsprechungskompetenzen zwischen den obersten B.n und den Gerichten der Länder erfolgt nicht nach Sachgebieten, sondern nach den herkömmlichen Funktionen der Gerichtsinstanzen. Als letztinstanzliche Rechtsmittelgerichte obliegt es den obersten Gerichtshöfen des Bundes in erster Linie, die Einheit der Rechtsordnung zu wahren, das einfache Recht auszulegen und fortzubilden sowie bundeseinheitlich ordnungsgemäße Gerichtsverfahren zu gewährleisten und so zu Rechtssicherheit und -frieden beizutragen. Die Einzelfallgerechtigkeit tritt demgegenüber grundsätzlich zurück. Dies schließt es aber nicht aus, ihnen aus besonderen Sachgründen in bestimmtem Umfang auch erst- oder zweitinstanzliche Aufgaben zuzuweisen.

Die Revision bedarf – mit Ausnahme der Revision in Strafsachen vor dem BGH – der ausdrücklichen Zulassung durch das vorinstanzliche Gericht oder auf Nichtzulassungsbeschwerde durch das Rechtsmittelgericht. Die Gründe für eine Zulassung sind in den Verfahrensordnungen der Gerichte abschließend geregelt. Danach ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des obersten B.s erfordert oder ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die Vorentscheidung beruhen kann. Als Revisionsgerichte treffen die obersten Gerichtshöfe des Bundes in der Regel keine eigenen Tatsachenfeststellungen, sondern überprüfen die Entscheidungen der Vorinstanzen auf Fehler bei der Rechtsanwendung.

In den Verfahren vor den obersten B.n müssen sich die Prozessbeteiligten durch einen Rechtsanwalt oder durch eine sonstige, nach der jeweiligen Verfahrensordnung vertretungsbefugte Person oder Organisation vertreten lassen. Der Vertretungszwang und die Beschränkung des Kreises vertretungsbefugter Personen dienen dem verfassungsrechtlichen Anspruch der Beteiligten auf sachkundige Prozessvertretung und damit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz.

Zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist ein Gemeinsamer Senat der fünf obersten Gerichtshöfe des Bundes mit Sitz in Karlsruhe gebildet worden (Art. 95 Abs. 3 GG und das Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.6.1968). Der Gemeinsame Senat entscheidet, wenn ein Senat eines obersten Gerichtshofs in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen möchte. Seine Entscheidung ist für das erkennende Gericht bindend. Der Gemeinsame Senat besteht aus den fünf Präsidenten der obersten Gerichtshöfe als ständige Mitglieder sowie aus den Vorsitzenden und je einem weiteren richterlichen Mitglied des vorlegenden Senats und des Senats des obersten Gerichtshofs, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll. Sofern von einer Entscheidung eines anderen Senats desselben Gerichtshofs abgewichen werden soll, ist der Große Senat dieses Gerichtshofs anzurufen.

In ihrer Eigenschaft als Revisionsgerichte entscheiden die Senate der obersten B. nach geheimer Beratung und Abstimmung mit einfacher Mehrheit in der Regel in der Besetzung von fünf Richtern. Dabei haben alle Richter das gleiche Stimmrecht. Beim BGH, BVerwG und BFH wirken grundsätzlich nur Berufsrichter an der Entscheidung mit, beim BAG und BSG setzen sich die Senate dagegen aus drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern zusammen. Bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung wie bspw. bei der Entscheidung über die Zulassung einer Revision entscheiden die Gerichte z. T. auch in der Besetzung von drei Richtern.

Die Besetzung der Richter des BVerfG und der Berufsrichter der obersten B. erfolgt durch ein jeweils bes. geregeltes Wahlverfahren. Die Richter des BVerfG werden je zur Hälfte vom Plenum des Bundesrats und von einem aus insgesamt zwölf Abgeordneten bestehenden Wahlausschuss des Bundestags gewählt (Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG i. V. m. § 6 Abs. 2 BVerfGG). Die Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes werden von dem für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Bundesminister gemeinsam mit dem Richterwahlausschuss berufen und vom Bundespräsidenten ernannt (Art. 95 i. V. m. §§ 1 ff. RiWG, Art. 60 GG). Gewählt werden kann, wer die deutsche Staatsangehörigkeit und die Befähigung zum Richteramt besitzt sowie das 35. Lebensjahr vollendet hat. Das Vorschlagsrecht steht dem zuständigen Bundesminister und jedem Mitglied des Richterwahlausschusses zu. Die Ernennung erfolgt auf Lebenszeit. Die Rechtstellung der Bundesrichter ist entspr. den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 98 Abs. 1 GG durch das DRiG idF vom 19.4.1972 geregelt.

Neben den obersten Gerichtshöfen kann der Bund fakultativ für die in Art. 96 GG genannten Sonderbereiche spezielle B. errichten. Fakultative B. in diesem Sinne sind z. B. das BPatG, das Dienstgericht des Bundes am BGH sowie die Wehrdienstsenate beim BVerwG. Oberster Gerichtshof für die fakultativen B. ist der BGH (Art. 96 Abs. 3 GG).

2. Die Bundesgerichte im Einzelnen

a) Als Rechtsnachfolger des 1879 gegründeten Reichsgerichts wurde der BGH am 1.10.1950 in Karlsruhe errichtet. Beim BGH bestehen derzeit zwölf Zivilsenate und fünf Strafsenate, davon ein detachierter Strafsenat in Leipzig. Diese werden jeweils von einem Vorsitzenden Richter geleitet. Neben der Präsidentin sind 17 Senatsvorsitzende und 111 Richter am BGH tätig und einem Zivil- oder Strafsenat zugewiesen. Daneben sind beim BGH sechs Ermittlungsrichterdezernate und acht Spezialsenate für bes. Materien eingerichtet: der Kartellsenat, je ein Senat für Anwalts-, Patentanwalts- und für Notarsachen, für Landwirtschaftssachen und für Steuerberater- und für Wirtschaftsprüfersachen sowie das Dienstgericht des Bundes. Mit Ausnahme des Kartellsenats wirken in den Spezialsenaten außer den Berufsrichtern auch Angehörige der jeweils betroffenen Berufsgruppen an den Entscheidungen mit.

Der BGH steht an der Spitze der ordentlichen Gerichtsbarkeit und ist in erster Linie Revisionsgericht in Zivil- und Strafsachen. Eine Ausnahme gilt für Patentnichtigkeitssachen, in denen der zuständige Zivilsenat als Berufungsgericht tatrichterliche Aufgaben wahrnimmt. Die Aufteilung der Zuständigkeiten in Zivilsachen erfolgt traditionell nach Rechtsgebieten. In Zivilsachen kann Revision grundsätzlich nur gegen zweitinstanzliche Entscheidungen, unter besonderen Voraussetzungen als Sprungrevision auch gegen erstinstanzliche Urteile der Amts- und Landgerichte eingelegt werden. Daneben ist der BGH zuständig für Rechtsbeschwerden, die ebenfalls der Überprüfung der Rechtsanwendung dienen und insb. in Familiensachen sowie bei Nebenentscheidungen und Nebenverfahren erhoben werden können. In zivilrechtlichen Verfahren besteht anders als bei den anderen obersten B.n ein qualifizierter Vertretungszwang. Vertretungsbefugt sind insoweit ausschließlich die beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte (Rechtsanwalt).

In Strafsachen orientiert sich die Geschäftsverteilung überwiegend an regionalen Gesichtspunkten. Der Revision zum BGH unterliegen allein die erstinstanzlichen Urteile der LG und OLG. Revisionsgegenstand sind daher in erster Linie Kapitalverbrechen u. a. bes. schwerwiegende Straftaten. Abweichend von der Grundregel bedarf die Revision in Strafsachen nicht der Zulassung. Der BGH entscheidet darüber hinaus in Fällen der einfachen oder mittleren Kriminalität im sogenannten Vorlegungsverfahren, wenn ein OLG in einer Rechtsfrage von einem anderen OLG oder dem BGH abweichen will.

b) Das BVerwG wurde am 8.6.1953 in Berlin errichtet und hat seit 2002 seinen Dienstsitz im Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts in Leipzig. Es besteht aus zehn Revisionssenaten und zwei Wehrdienstsenaten. Ihnen gehören die Senatsvorsitzenden, den Revisionssenaten weitere vier bis sechs und den Wehrdienstsenaten weitere zwei Richter an. Insgesamt sind am BVerwG derzeit 54 Richter tätig. Ehrenamtliche Richter wirken nur in Disziplinar- und Wehrdienstsachen mit.

Das BVerwG ist letztinstanzlich zuständig für Streitigkeiten im Bereich des zum allgemeinen Verwaltungsrecht gehörenden Bundesrechts; die Auslegung von Landesrecht obliegt dagegen den OVG und VGH der Länder. Daneben wurden dem BVerwG in zunehmendem Maße erstinstanzliche Zuständigkeiten übertragen. In diesen Fällen ist es zugleich erste und letzte Tatsachen- und Rechtsinstanz. Hierunter fallen nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern sowie zwischen Ländern, Klagen auf den Gebieten des Vereinsrechts und des Versicherungsaufsichtsrechts sowie vorübergehend Verfahren, die für den Ausbau der Verkehrswege in den neuen Bundesländern bedeutsam sind. In Disziplinar- und Wehrdienstsachen entscheidet das BVerwG als Berufungsgericht.

c) Der am 1.10.1950 in München errichtete BFH ist Rechtsnachfolger des 1918 gegründeten Reichsfinanzhofs und letzte Gerichtsinstanz für Streitigkeiten auf dem Gebiet des Steuerrechts und des Zollrechts. Die Zuständigkeit für Steuerstrafsachen liegt jedoch bei den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Angesichts der Komplexität und der weitreichenden Auswirkungen des deutschen Steuerrechts auf nahezu alle Lebensbereiche der Steuerbürger ist die Tätigkeit des BFH von erheblicher wirtschaftlicher und politischer Bedeutung. Die Urteile des BFH konkretisieren das abstrakte Recht nicht nur im jeweiligen Einzelfall, sondern haben faktisch eine erhebliche Breitenwirkung.

Der BFH besteht aus elf Senaten mit jeweils einem Senatsvorsitzenden und vier oder fünf Berufsrichtern. Derzeit sind beim BFH insgesamt 59 Richter tätig. Die Finanzgerichtsbarkeit ist anders als die anderen Gerichtsbarkeiten lediglich zweistufig aufgebaut. Der BFH entscheidet daher über Revisionen und Beschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen der Finanzgerichte. Darüber hinaus hat der BFH seit 2011 wieder eine originäre erstinstanzliche Zuständigkeit erhalten: Er ist ausschließlich zuständig für Entschädigungsklagen gegen die Finanzgerichte bei überlanger Verfahrensdauer eines Gerichtsverfahrens.

d) Das BAG wurde am 10.5.1954 in Kassel errichtet und hat seit 1999 seinen Dienstsitz in Erfurt. Es besteht aus zehn Senaten mit jeweils einem Senatsvorsitzenden und zwei oder drei Berufsrichtern. Neben der Präsidentin sind am BAG neun Senatsvorsitzende und weitere 28 Bundesrichter tätig. Dazu treten etwa 100 ehrenamtliche Richter aus dem Kreis der Arbeitnehmer und ebenso viele aus dem Kreis der Arbeitgeber.

Das BAG ist Rechtsmittelgericht für sämtliche arbeitsrechtliche Streitigkeiten, für die der Rechtsweg zu den ArbG eröffnet ist. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist entspr. den verfassungsrechtlichen Vorgaben eine von der Zivilgerichtsbarkeit unabhängige, eigenständige Gerichtsbarkeit. In die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit fallen neben den bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus dem Arbeitsverhältnis auch Streitigkeiten aus dem Bereich des Tarifvertragsrechts oder der betrieblichen Mitwirkung bspw. nach dem Betriebsverfassungsgesetz.

e) Das am 11.9.1954 errichtete BSG mit Sitz in Kassel ist letztinstanzlich zuständig für Streitigkeiten aus dem Sozialversicherungsrecht und seit einigen Jahren auch aus dem Sozialhilferecht im weiteren Sinne. Hierzu gehören v. a. Fragen der gesetzlichen Renten-, Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie Streitigkeiten aus dem Bereich des Vertragsarztrechts oder aus dem Bereich staatlicher Sozial- und Transferleistungen. Beim BSG bestehen derzeit 14 Senate, die mit einem Senatsvorsitzenden und weiteren zwei oder drei Berufsrichtern besetzt sind. Insgesamt sind am BSG derzeit knapp 40 Bundesrichter tätig. Die ehrenamtlichen Richter werden aufgrund von Vorschlagslisten der Gewerkschaften, der selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, der Arbeitgebervereinigungen, der Kassenärztlichen Vereinigungen sowie der Zusammenschlüsse der Krankenkassen vom BMAS berufen.

f) Das am 1.7.1961 gegründete BPatG mit Sitz in München ist ein selbständiges und unabhängiges B. für Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes, soweit es darum geht, dass ein Schutzrecht gewährt, versagt oder wieder entzogen werden soll. In seine Zuständigkeit fallen Streitigkeiten auf dem Gebiet des Patent-, Gebrauchsmuster-, Geschmacksmuster-, Marken- und Wettbewerbsrechts. Das BPatG entscheidet in Patentnichtigkeitsverfahren als erstinstanzliches Gericht. In zweiter Instanz ist es zuständig für Entscheidungen über Beschwerden gegen Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamts sowie gegen Beschlüsse der Widerspruchsausschüsse des Bundessortenamts. Nicht in die Zuständigkeit des BPatG fallen hingegen Streitigkeiten wegen Verletzung gewerblicher Schutzrechte; hierfür sind die Zivilgerichte zuständig.

Beim BPatG bestehen sechs Nichtigkeitssenate und 21 Beschwerdesenate. Die Senate des BPatG sind sowohl mit rechtskundigen als auch mit technischen Richtern besetzt. Insgesamt sind am BPatG 112 Richter tätig. Das BPatG ist beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ressortiert. Gegen die Beschlüsse der Beschwerdesenate ist die Rechtsbeschwerde, gegen die Urteile der Nichtigkeitssenate die Berufung zum BGH zulässig.