Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)

Die Revolution von 1989/90 war auch eine „Archivrevolution“: Die bislang streng gehüteten Geheimablagen in der SED-Diktatur wurden geöffnet. Spektakulär waren dabei die Besetzungen der Bezirksverwaltungen und vieler Kreisdienststellen des MfS ab dem 4.12.1989 sowie die am 15.1.1990 erfolgte Erstürmung der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Dies alles erfolgte unter den Losungen „Öffnung der Akten“ und die „Akten gehören uns“. Die bereits begonnene Aktenvernichtung sollte gestoppt, befürchtete Verschiebungen von Unterlagen ins Ausland sollten verhindert werden. Viele Menschen hofften zudem, mit Hilfe der Akten Rehabilitierung und Strafverfolgung für den Täter erreichen zu können. Die Revolution von 1989 war so auch vom Wunsch geprägt, die Hoheit über die eigene Geschichte wiederzuerlangen. In der ostdeutschen Gesellschaft war jedenfalls das Bedürfnis nach historischer Auseinandersetzung immens. Als kurz vor den ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990 der Band „Ich liebe euch doch alle“ mit Stasi-Stimmungsberichten aus dem Jahre 1989 veröffentlicht wurde, versammelten sich vor dem „Haus der Demokratie“ in Ost-Berlin, wo der Band von LKW-Pritschen herunter verkauft wurde, Tausende Menschen, um diese heiß begehrte Ware zu erhalten.

Dies deutet bereits an, was das bes. Kennzeichen der Beschäftigung mit der kommunistischen Vergangenheit in Deutschland geworden ist: ein breites Spektrum von Akteuren hat sich etabliert. Institutionell reicht dieses von staatlichen Einrichtungen (z. B. Stasi-Unterlagenbehörde, Stiftung Aufarbeitung, Forschungseinrichtungen und Universitäten) über zivilgesellschaftliche Institutionen (z. B. Opferverbände, Robert-Havemann-Gesellschaft, Archiv Bürgerbewegung Leipzig), parlamentarischen Initiativen (z. B. Enquete-Kommissionen des Bundestages sowie der Landtage von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Niedersachsen, Untersuchungsausschüsse [[[Untersuchungsausschuss]]]) bis hin zu privaten Gesellschaften (z. B. DDR-Museen) und einer permanenten medialen Berichterstattung. Neben den traditionellen Bundes-, Landes- und Regionalarchiven haben sich neue Archivtypen (Archive) etabliert, von denen die Stasi-Unterlagenbehörde sowie die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR die bekanntesten sind. Aber dazu gehören auch Archive, die Selbstzeugnisse der Opposition sammeln und bewahren. Der Aktenzugang kann insgesamt als hervorragend eingeschätzt werden; die empirischen Grundlagen für die Beschäftigung mit der DDR sind üppig und vielfältig.

Noch vor den Volkskammerwahlen am 18.3.1990 wurden erste prominente Politiker als IM des MfS enttarnt. Schnell wurde in der Gesellschaft der Ruf laut, künftig die Verantwortlichen in öffentlichen Ämtern und im öffentlichen Dienst, aber auch in Kirchen, im Sport, in den Medien u. a.n Bereichen, daraufhin zu überprüfen, ob sie für die Stasi gearbeitet hätten.

In der frei gewählten Volkskammer blieb das Stasi-Thema virulent, zumal eine ganze Reihe der gewählten Volksvertreter selbst, wie sich im Laufe der Monate herausstellte, für die Stasi aktiv tätig gewesen waren. Die Volkskammer bildete einen Stasi-Sonderausschuss, dem Joachim Gauck vorstand. Schließlich verabschiedete das DDR-Parlament ein Stasi-Unterlagengesetz. Nachdem dieses keinen Eingang in den Einigungsvertrag gefunden hatte, kam es zu heftigen Protesten, so dass schließlich protokollarisch von den Verhandlungsführern für den Einigungsvertrag festgehalten wurde, dass auf der Grundlage dieses Gesetzes der Deutsche Bundestag ein entsprechendes Bundesgesetz erarbeiten und verabschieden solle.

Am 3.10.1990 wurde J. Gauck zum „Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes“ ernannt. Mit anfänglich 52 Mitarbeitern nahm diese Behörde in Berlin und 14 Außenstellen ihre Arbeit auf. Auf der Grundlage einer vorläufigen Benutzerordnung vom Dezember 1990 wurden erste Auskünfte erteilt. Sie dienten der Rehabilitierung, der Überprüfung von Abgeordneten und Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung und zur Verfolgung von Straftaten. Am 29.12.1991 trat dann das StUG in Kraft. Aus dem „Sonderbeauftragten“ wurde der BStU. Am 2.1.1992 nahmen die ersten Bürger Einsicht in die über sie von der Stasi angelegten Unterlagen.

Bis Mitte der 1990er Jahre wuchs die Zahl der Behördenmitarbeiter auf knapp 3 200. Ende 2015 arbeiteten noch rund 1 600 Mitarbeiter in der Behörde in Berlin und den noch 12 Außenstellen. Im Oktober 2000 wurde Marianne Birthler Nachfolgerin von J. Gauck. Im März 2011 folgte ihr Roland Jahn.

Das Zentrum der Behörde bilden die Hinterlassenschaften des Staatssicherheitsdienstes. Die Archive beherbergen insgesamt 111 Regal-Kilometer Schriftgut, mehr als 1,7 Mio. Fotos und Mikrofiches, über 30 100 Film-, Video- und Tondokumente, ca. 4 500 Karteien mit rund 41 Mio. Karteikarten und mehr als 10 000 Disketten, Magnetplatten und -bändern. Hinzu kommen Unterlagen auf Sicherungs- und Arbeitsfilmen, die ausgedruckt nochmals Dutzende Regalkilometer ergeben würden. Zum Archivbestand gehören zudem mehr als 15 000 „Säcke“ mit zerrissenen Unterlagen. Seit 1995 werden in mühevoller und komplizierter Arbeit zerrissene Dokumente wieder zusammengesetzt.

Der rechtliche Rahmen für die verschiedenen Formen der Akteneinsicht liegt mit dem StUG vor. Bis Ende 2016 sind über 7 Mio. Ersuchen und Anträge eingegangen, darunter über 3,1 Mio. Anträge auf persönliche Akteneinsicht. Neben Bürgereinsicht und Überprüfungen stehen die Akten u. a. für Mitteilungen zur Rentenberechnung oder zur Rehabilitierung bzw. Wiedergutmachung bei politischer Verfolgung zur Verfügung. Aus den Bereichen Forschung und Medien kamen bis Ende 2016 über 33 000 Anträge hinzu.

Die Stasi griff massiv in das Persönlichkeitsrecht ihrer Opfer ein. Deshalb werden die Unterlagen nach strengen Richtlinien herausgegeben. Grundlage dafür sind im StUG festgelegte Regeln.

Immer wieder haben Stasi-Akten öffentliche Diskussionen entfacht. In den 1990er Jahren verursachten die Diskussion um prominente Politiker und ihre Verstrickung mit der Stasi häufig Schlagzeilen. Die Auseinandersetzung um das Recht auf Zugang zu Informationen im Verhältnis zum Schutz der Persönlichkeitsrechte erfuhr mit den Klagen von Helmut Kohl einen juristischen Höhepunkt. Dieser hatte ab 2000 gegen die Herausgabe von Akten, die seine Person betreffen, erfolgreich geklagt. Mit den abschließenden Urteilen und einer damit zusammenhängenden Novellierung des StUG im Jahr 2002 wurden die Rechte zum Schutz der Persönlichkeit des Einzelnen gestärkt.

Die Stasi-Unterlagen-Behörde hat auch den gesetzlichen Auftrag, die Öffentlichkeit über Struktur, Methoden und Wirkungsweise des MfS zu unterrichten. Mit Informations- und Dokumentationszentren sowie Wanderausstellungen kommt der BStU dem nach. Einen Schwerpunkt stellt die Bildungsarbeit mit Schülern, Lehrern und Multiplikatoren dar.

Die in der Stasi-Unterlagen-Behörde angesiedelte Forschungsabteilung hat eine große Anzahl von Publikationen zur Struktur, Geschichte und Wirkungsweise des MfS erstellt und wesentlich die wissenschaftliche Debatte um die DDR-Geschichte mitbestimmt.

Im Juli 2014 setzte der Deutsche Bundestag eine „Expertenkommission zur Zukunft der Behörde“ des BStU ein. Die Ergebnisse wurden im Frühjahr 2016 im Bundestag ohne unmittelbare Folgen diskutiert. Dennoch scheint die Übernahme der MfS-Unterlagen durch das Bundesarchiv in den nächsten Jahren zu erfolgen. Die genauen Modalitäten sind noch unbekannt. Auch die Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde als solcher, die ja mehr als nur ein Archiv darstellt, ist gegenwärtig völlig ungewiss. Die Aufarbeitung und wissenschaftliche Beschäftigung mit der SED-Diktatur kennt keinen Schlussstrich und ist nicht von der Existenz einzelner Institutionen abhängig.