Boykott

1. Begriff und Klassifikation

Das Wort B. greift historische Ereignisse um das als unethisch und normwidrig empfundene Verhalten des irischen Gutsverwalters Charles Cunningham Boycott Ende des 19. Jh. auf. In Folge seiner dauerhaft repressiven Verwaltungspraxis und seiner Ablehnung einer gemeinwohlkonformen Bodenreform vereinbarten Pachtbauern und Landarbeiter sowohl die Einstellung von Zinszahlungen als auch die Ausgrenzung C. C. Boycotts mittels Arbeitsverweigerung, Abbruch der Geschäftsbeziehungen und Ablehnung aller vertraglich geschlossenen Rechtsverhältnisse. Die unnachgiebige Haltung der Bauern wie auch ein im Weiteren von Pächtern, Bürgern und Unternehmern gegen C. C. Boycott gerichteter, breiter Protest erzwangen dessen Aufgabe sämtlicher Ämter sowie seine Auswanderung.

Im Anschluss daran versteht man unter B. eine vielgestaltige, durch planmäßige Verrufserklärung und Ächtung in Gang gesetzte Organisation, durch die der Boykotteur zum Abbruch der wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen Beziehungen zu einem Dritten mit dem Ziel aufruft, den Boykottierten zu einer bestimmten Verhaltensänderung zu zwingen. Vornehmlich als kollektive Maßnahme seitens einzelner Personen, einer Gruppe von Staaten (Staat) oder privater sowie staatlicher internationaler Organisationen initiiert, ist diese Ächtung ein Druck-, Zwangs- oder Kampfmittel sowie ein Bestrafungs- oder Protestinstrument. Allgemeine Wesensmerkmale eines B.s sind:

a) die vom B.-Initiator entspr. seiner Macht, Autorität und Kommunikationsfähigkeit sowie seines Informationsvorsprungs herbeigeführte, willensbeeinflussende Aufforderung zur Absperrung oder Ausgrenzung des B.-Ziels durch eine Gruppe von Boykottierern, denen sich im Fall eines öffentlichen B.-Guts häufig Nicht-Teilnehmer als sogenannte Trittbrettfahrer („freerider“) anschließen,

b) das je nach B.-Situation bzw. im Verhältnis zu Umfang, Reichweite und Ziel des B.s sich ergebende Maß an Legitimität, Effektivität und Popularität der Aktion (z. B. bei Massenprotesten);

c) eine im Feld der Sozial-und Wirtschaftsbeziehungen überwiegend strukturelle Machtdispersion, die in Gestalt asymmetrischer Machtverhältnisse das Szenario zwischen dem Boykottierer und dem B.-Ziel (u. a. Unternehmen, Herrschaftseliten, Staaten, ethnische oder religiöse Minderheiten, politische Entscheidungen, Gesetze) bestimmt;

d) die Verletzung moralischer Emotionen, Überzeugungen oder Standards als affektive Handlungsimpulse, zumeist hervorgerufen durch ein Empörung verursachendes Fehlverhalten oder durch Betroffenheit auslösende und Mitleid erzeugende humanitäre oder umwelt- und gesundheitsschädigende Krisen bzw. Katastrophen;

e) das Vermeiden interpersonalen Gewalthandelns im Sinne von Gegengewalt (Gewalt), die den B., trotz seiner Form der Widerständigkeit (Widerstandsrecht), in der Regel als gewaltlose Aktion charakterisiert.

2. Boykottformen

Formen, Begrifflichkeiten und Verständnis von B. sind fließend. Eine Typologie ist daher schwierig zu erstellen. Zur Systematisierung realer Erscheinungsformen eignet sich eine Klassifizierung in Typen des sozialen, politischen und wirtschaftlichen, im weiteren Sinne auch des ökologischen und religiösen B.s, die jeweils sich überschneidende Subtypen des B.s umfassen (u. a. Arbeits-B., Konsumenten-B., Wahl-B., Handels-B., Olympia-B., Presse- und Medien-B.).

2.1 Sozialer Boykott

Sozialer B. ist eine Form wirtschaftlich oder politisch motivierter gesellschaftlicher Aktionen gegen missliebige Personen, herrschaftsnahe Elitegruppen (Elite) oder politische Maßnahmen. Das klassische Mittel des gewerkschaftsinitiierten Arbeits-B.s und der als direkte, gewaltfreie Aktion durchgeführte protestähnliche B. (z. B. Montgomery-Bus-B. der US-Bürgerrechtsbewegung [ Bürgerrechtsbewegungen ] in den sechziger Jahren), können ebenso dazu gezählt werden wie der als modernes Phänomen sich entwickelnde Konsumenten-B. Verletzungen von Umweltstandards (z. B. die Entsorgung der Öl-Plattform Brent Spar) oder die Herstellung von Produkten unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen erhöhen je nach Empörungsgrad die Bereitschaft zur B.-Teilnahme, die schließlich gegenüber dem „unerhörten“ Verhalten eines Unternehmens oder einer öffentlichen Organisation in Form einer bewussten, politisch oder ethisch motivierten, kollektiven Kaufentscheidung oder Kaufverweigerung sichtbar wird. Innerhalb der sozialen B.-Praxis sind weitere Differenzierungskriterien von B.-Typen möglich: 1. sozial motivierter B. (z. B. bei unethischen Unternehmenspraktiken oder bei Ächtung von Preiserhöhungen), 2. instrumentell-verhaltensändernder und expressiver, Reform- und Wertewandel anstoßender B. (z. B. Oscar-B.), 3. interessenorientierte B.e (z. B. Gebühren-B.), 4. akademischer B. sowie 5. internetbasierter B. durch Kampagnen- oder Protestnetzwerke (z. B. Blogs).

Für die rechtliche Beurteilung eines sozialen B.s, zu dem im Meinungskampf durch Pressemitteilung oder Internetaufruf in den (sozialen) Medien aufgefordert wird, ist entscheidend, dass er vom Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit (GG Art. 5 Abs. 1, Meinungsfreiheit) gedeckt sein kann, wenn das B.-Motiv in der Sorge um Belange des allgemeinen Wohls (Gemeinwohl) oder in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liegt.

2.2 Politischer Boykott

Politischer B. wird als Mittel der Bestrafung oder der zu erzwingenden politischen Verhaltensänderung verstanden, dessen expressive, politisch motivierte Kampagnen auf in Verruf geratene Unternehmen, Staaten, politische oder religiöse Gemeinschaften gerichtet sind, indem sie sich mit konkreter Diskriminierungsabsicht gegen gesellschaftliche Minderheiten (z. B. Juden-B. der Nationalsozialisten, Nationalsozialismus) oder Waren ausländischer Staaten wenden. Von Einzelnen, Gruppen und nicht-staatlichen Organisationen (NGO), zumeist aber von (oppositionellen) Parteien initiierter Wahl-B. stellt als politisch motivierte Aktion eine Form bewusster Diskreditierung oder des Protests gegen eine Regierung in überwiegend autoritären Regimen und sich demokratisierenden Transformationsstaaten (Demokratisierung) dar. Er protestiert aktiv gegen die unzureichende Gewährleistung freier und fairer Wahlen sowie gegen staatliche Behinderung von Parteien durch Einschüchterung, begrenzten Medienzugang oder mangelnde Wahlrechtssicherheit. Wirksamkeit und Reichweite hängen im Falle boykottierender Parteien wesentlich von deren Größe und Organisationsstruktur ab, je nachdem ob es sich um eine konkurrierende Massenpartei, eine Bewegungs- oder Rahmenpartei, eine „single issue party“ oder eine Parteienkoalition handelt. Weltweit hohe Aufmerksamkeit erzeugen politisch intendierte B.e von Olympischen Spielen (z. B. Olympia-B. in Moskau 1980, Los Angeles 1984) oder von internationalen Sportereignissen.

2.3 Wirtschaftlicher Boykott

Der wirtschaftliche B. ist eine sowohl im innerstaatlichen Bereich als auch im globalen Interaktions- und Handlungsraum verbreitete, eher privatwirtschaftlich-passive B.-Form gegen Personen, Unternehmen oder Staaten. Innerhalb der Wirtschaft eines Landes fallen darunter Zwangsmaßnahmen, die im Rahmen eines Arbeitskampfes seitens der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sowie über Auftrags- bzw. Liefersperren gegen Hersteller oder Händler ergriffen werden. Im Hinblick auf Aussperrung oder Streik ist B. ein zulässiges Arbeitskampfmittel, wenn er dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspr. und nicht gegen die guten Sitten verstößt (§§ 823 Abs. 1, 826 BGB; § 1 UWG). Ein B., der durch Aufruf zur Absperrung oder Isolierung vom üblichen Geschäftsverkehr sowie durch die unbillige Beeinträchtigung eines Dritten mittels Bezugs- oder Liefersperren die Wettbewerbsfähigkeit eines Konkurrenten verletzen und dadurch zur Marktstärkung des boykottieren Wettbewerbers beitragen kann, stellt rechtlich ein unzulässiges Mittel dar. Mit Blick auf das generelle kartellrechtliche B.-Verbot (§ 21 Abs. 1 GWB) besteht Einigkeit darin, dass eine zu Wettbewerbszwecken beabsichtigte B.-Aufforderung grundsätzlich als unlautere Wettbewerbsmaßnahme nach § 1 UWG anzusehen ist.

Häufigste Form internationaler wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen ist die angeordnete Unterbindung des zwischenstaatlichen Güterhandels durch ein boykottähnliches Embargo. Das u. a. durch Export- und Importverbote, Warenbeschränkungen, Suspendierung bestehender Wirtschaftsbeziehungen, Kreditsperren, Beschlagnahme ausländischer Staatsvermögen oder durch die Verweigerung und Unterbrechung finanzieller Hilfen verfolgte Embargoziel ist es, auf das missbilligte oder rechtswidrige Verhalten eines Staates mit Druck zu reagieren, sei es aufgrund der Verletzung moralischer Standards und internationaler Regeln oder aufgrund der wirtschaftlichen Stärke als entscheidender Marktkonkurrent. Das Instrument der wirtschaftlichen und sozialen Isolierung eines Staates dient in den meisten Fällen dem Zweck, durch die zu erwartenden Folgen eine Verhaltensänderung der betroffenen Regierung zu erzwingen (z. B. Embargo gegen Irans atomare Bewaffnung).