Blasphemie

1. Begriff

Etymologisch meint B. die bewusste Schädigung (bláptein) des Rufes (phême). Erfasst das Profangriechisch damit jedwede Schmährede, bezieht das im christlichen Latein gebildete Lehnwort „blasphemia“ die Schmähung ausschließlich auf Gott: gemeint ist die Schmährede mit dem Ziel der Schädigung der Ehre Gottes. Nach dem KKK besteht die Gotteslästerung darin, „daß man … gegen Gott Worte des Hasses, des Vorwurfs, der Herausforderung äußert, schlecht über Gott redet, es in Worten an Ehrfurcht vor ihm fehlen läßt und den Namen Gottes mißbraucht. … Das Verbot der Gotteslästerung erstreckt sich auch auf Worte gegen die Kirche Christi, die Heiligen oder heilige Dinge.“ (KKK Nr. 2148). Als direkter Verstoß gegen das zweite Gebot ist die B. in sich eine schwere Sünde.

2. Biblische Aussagen

Im AT wie im NT erscheint „B.“ ganz überwiegend, wenngleich nicht exklusiv (Tit 3,2), als die Lästerung Gottes durch Herabsetzung der allein ihm zustehenden Ehre: durch direkte Schmähung, durch Unterlassung des gebotenen Opfers oder umgekehrt durch Darbringung eines Opfers für fremde Götter, aber auch durch moralische Verfehlungen, die anderen Anlass zur Schmähung Gottes geben (2 Sam 12,13–14). Die Schmähung des Namens Gottes verdient den Tod und ist von den Ohrenzeugen, nach Zerreißen ihrer Gewänder (2 Kön 18,37–19,1), durch die Steinigung zu vollziehen (Lev 24,11.14–16.23). Im NT trifft den Anspruch Christi, Sohn Gottes zu sein, der Vorwurf der Gotteslästerung (Mt 9,3 par., Joh 10,33.36); das feierliche Bekenntnis seiner Gottessohnschaft vor dem Hohen Rat zieht das Todesurteil nach sich (Mt 26,65 f.). In gleicher Weise führt der Vorwurf der Lästerung Gottes und Moses’ zur Steinigung des Stephanus, nachdem er die Gottessohnschaft Christi bekannt hat (Apg 6,11; 7,55–59). Nach der Lehre Christi entspringt die B. dem Herzen des Menschen (Mt 15,19), die Schmähung des Heiligen Geistes vermag keine Vergebung zu finden (Mt 12,31 par.). Anders als im AT findet sich aber kein Strafgebot für den Fall der Gotteslästerung, unter Heranziehung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen wurde der „Gotteszorn … eschatologisiert: Die Bestrafung vollzieht sich am Ende der Tage durch Gott selbst, nicht mehr durch Exekution seitens der Menschen auf Erden“ (Angenendt 2007: 11).

3. Historische Genese

In der Urkirche wie in der Väterzeit steht außer Streit, dass die B. eine schwere Sünde ist, welche vom Heil ausschließt (für Tertullian ist sie gar eine der sieben Hauptsünden). Erfasst wird nicht nur die Leugnung Gottes durch die Heiden und die Lästerung Gottes durch die Christen selbst (direkt oder indirekt, durch böse Taten), sondern auch die falsche Rede über Gott: Im Anschluss an die Gleichsetzung von Irrlehre und Gotteslästerung im Judasbrief gilt auch die Häresie als B., ihrer klagt sich Augustinus conf. ob seiner manichäischen Vergangenheit ebenso an (conf. 3,11,19) wie zuvor Paulus ob seiner früheren Verfolgung der Kirche (Apg 26,11). Innerkirchlich wurde die B. mit geistlichen Mitteln geahndet (Zurechtweisung, bei Amtsträgern Absetzung, ab dem späten 5. Jh. auch Exkommunikation). Einen rechtlich relevanten Quantensprung bringt erst die Spätantike, als Kaiser Justinian – also die staatliche Gesetzgebung – die B. als todeswürdiges Verbrechen kodifiziert (Novelle 77, um 538). Denn, so die Begründung, von der Gemeinschaft müsse Unheil durch Hungersnöte, Erdbeben und Pestilenz ferngehalten werden.

Entscheidende Fortentwicklungen erfolgen in Hochmittelalter. Nahezu zeitgleich (um 1230) wird das Wesen der B. in dogmatischer Hinsicht (Dogmatik) näher konturiert wie rechtlich sanktioniert: Die wirkmächtige „Summa Theologica“ des Alexander von Hales versteht die B. als Schmähung Gottes mit dem Ziel seiner Entehrung als Schöpfer, welche auf dreierlei Weise begangen werden kann: Gott etwas zuzuschreiben, das ihm nicht zusteht, ihm etwas zu entziehen, das ihm zusteht, und schließlich, einem Geschöpf etwas zuzuschreiben, das allein Gott eigen ist. Strafrechtliche Bestimmungen finden sich zuerst auf der Ebene der kommunalen Statuten, die regelmäßig den Verlust der Zunge vorsehen (meist verbunden mit weiteren Strafen wie Pranger und Stadtverweis), so für das Reich pionierhaft das Wiener Stadtrecht Herzog Leopolds VI. (1221). Wenig später ergehen auch universale Gesetze, so die Dekretale „De maleficis“ von Papst Gregor IX. (1227/34) sowie die Konstitutionen von Melfi (Kaiser Friedrichs II. 1231 für das Königreich Sizilien). Bewegen sich letztere auf dem Sanktionsniveau der städtischen Gesetzgebung (Abschneiden der „Lästerzunge“), sieht erstere Geldbußen, öffentliche Schand- und Ehrenstrafen sowie wiedergutmachende Bußakte vor.

Eine normative Zentralisierung wie Systematisierung erfolgt erst in der frühen Neuzeit, seitens des weltlichen Rechts im Nachgang zum Reichsabschied des Wormser Reichstags (1495) durch die Reichspolizeiordnung (1530) sowie die Peinliche Gerichtsordnung (1532), kirchlicherseits in der Bulle „Supernae dispositionis“ des 5. Laterankonzils (1514). So findet die institutionelle Bekämpfung der B. ihren Höhepunkt im 16. und frühen 17. Jh. zunehmend als Aufgabe der weltlichen Justiz: Die Bestrafung der Gotteslästerer gerät zur Herrscherpflicht der (alt- wie neugläubigen) Obrigkeit.

Beeinflusst vom Gedankengut der Spätaufklärung (Aufklärung), tauscht die staatliche Gesetzgebung ab dem späten 18. Jh. den Strafgrund des beibehaltenen B.-Delikts aus: Nun geht es nicht mehr um die Wiedergutmachung der verletzten Ehre Gottes, sondern um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung: Der Gotteslästerer untergräbt die Grundlagen des Staates und vergeht sich an den heiligsten Überzeugungen anderer. Noch nach § 166 S. 1 StGB 1872 wird bestraft, „wer öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert und dadurch ein Ärgernis gibt“. Diese Bestimmung gilt bis zu ihrer Streichung 1969.

4. Rechtliche Relevanz in der Gegenwart

Das geltende deutsche (Straf-)Recht verhält sich nicht mehr zur B. im engeren Sinn. Der neugefasste § 166 StGB pönalisiert allein die Religions- (Abs. 1) wie die Kirchenbeschimpfung (Abs. 2), in beiden Fällen bedarf es der (abstrakten) Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören. Nicht nur deshalb besitzt die Norm nur geringe praktische Bedeutung; außer im Strafrecht kann sie als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sowie als Bestandteil der öffentlichen Sicherheit im Sinne der polizeilichen Generalklausel mittelbare Relevanz im Zivil- und im Öffentlichen Recht erlangen.

Demgegenüber ist die Gotteslästerung nach kanonischem Strafrecht (Kirchenrecht) unverändert ein Delikt (can. 1369 CIC 1983, zuvor can. 2323 CIC/1917); auch hier hält sich die praktische Bedeutung in engen Grenzen.

5. Rechtlicher und interkultureller Vergleich

Der deutschen Rechtslage vergleichbar sind die Bestimmungen der meisten westlichen Verfassungsstaaten: Straflosigkeit der B. im engeren Sinn, aber (theoretische) Strafbarkeit der Verunglimpfung von Religion(sgemeinschaften). Zahlreiche islamische Staaten kennen hingegen eine z. T. rigide B.-Gesetzgebung mit Androhung auch der Todesstrafe (v. a. Iran und Pakistan). Wie die Fälle „Salman Rushdie“, „dänische Karikaturen“ und „Charlie Hebdo“ illustrieren, birgt die Thematik beträchtliches interkulturelles Konfliktpotential (Religionskonflikte).